NEUES LEITMOTIV
Die New Paradigm Papers des Monats September
Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.
VON
SONJA HENNENVERÖFFENTLICHT
5. SEPTEMBER 2023LESEDAUER
7 MINWas war die Ursache für die Inflation in den USA während der Pandemie?
Von Olivier J. Blanchard & Ben S. Bernanke
Was hat die Inflation in den USA während der Pandemie verursacht? In einem kürzlich veröffentlichten Arbeitspapier gehen Olivier Blanchard und Ben Bernanke dieser Frage nach. Dazu entwickeln die Ökonomen ein dynamisches Modell, das bewertet, welche Faktoren Preise, Löhne und Inflationserwartungen beeinflussen. Ihr Modell untersucht die Auswirkungen von markt- und arbeitsmarktbezogenen Schocks auf Preise und Nominallöhne und gibt Aufschluss über die Ursachen von Inflation und Lohnwachstum in diesem Zeitraum. Entgegen den ursprünglichen Befürchtungen, dass die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften die Inflation anheizen könnte, zeigen die Ergebnisse, dass der Inflationsschub im Jahr 2021 in erster Linie auf Preisschocks zurückzuführen ist. Zu diesen Schocks zählen ein starker Anstieg der Rohstoffpreise aufgrund einer robusten Gesamtnachfrage sowie sektorspezifische Preisspitzen, die auf Veränderungen im Nachfrageverhalten und Angebotsengpässe zurückzuführen sind. Auch wenn die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht der primäre Inflationstreiber war, unterstreicht die Studie den anhaltenden Einfluss überhitzter Arbeitsmärkte auf Lohnwachstum und Inflation im Vergleich zu Schocks auf den Produktmärkten. Um die Inflation in den Griff zu bekommen, muss letztlich eine ausgewogenere Dynamik von Arbeitsangebot und -nachfrage erreicht werden.
Distributional National Accounts (DINA) in Deutschland, 1992-2016
Von Stefan Bach, Charlotte Bartels & Theresa Neef
Diese Studie der DIW-Wissenschaftler Stefan Bach, Charlotte Bartels und Theresa Neef präsentiert Daten der Verteilungs-VGR für Deutschland von 1992 bis 2016. Die Methodik kombiniert Einkommensteuerdaten mit SOEP-Umfragedaten, um die Verteilung des Volkseinkommens zu schätzen, und folgt damit dem von Piketty et al. (2018) entwickelten Ansatz der Verteilungs-VGR. Die Ergebnisse zeigen, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland von 1992 bis 2007 die Wohlhabenden begünstigte, sich aber von 2007 bis 2016 zugunsten der Durchschnittsverdiener verschob. Trotz eines Anstiegs der Arbeitseinkommen der unteren 50% seit 2007 hat sich die Einkommensschere zwischen dieser Gruppe und den oberen 10% vergrößert. Diese Polarisierung kann auf den kontinuierlichen Anstieg der Arbeitseinkommen der unteren 9% des obersten Dezils (P90-99) zurückgeführt werden. Darüber hinaus erhalten die obersten 0,1 % rund 7 % des Volkseinkommens, ein Wert, der mit dem der USA vergleichbar und doppelt so hoch wie in Frankreich ist.
Klimapolitik bei der Bank of England: Möglichkeiten und Grenzen einer grünen Geldpolitik
Von Monica DiLeo
Obwohl der Klimaschutz seit langem ein öffentliches Anliegen ist, haben die Zentralbanken ihn erst kürzlich in ihre Ziele aufgenommen. Die Bank of England (BoE) nahm 2015 eine Vorreiterrolle ein. In einem kürzlich veröffentlichten Strategiepapier untersucht Monica DiLeo die Schlüsselfaktoren, die zu diesem Wandel beigetragen haben. Sie kommt zu dem Schluss, dass der makroprudenzielle Rahmen, der aus der globalen Finanzkrise (GFC) hervorging, den Zentralbänkern die nötigen Instrumente an die Hand gab, um die Bedeutung des Klimawandels für ihre Ziele zu verstehen. Darüber hinaus spielte die Unterstützung der Regierung für die Klimaschutzmaßnahmen der BoE eine entscheidende Rolle, da diese der Bank einen Übergangspfad vorgab und ihren Maßnahmen politische Legitimität verlieh. Infolgedessen reduziert die Politik der BoE nicht nur klimabezogene Risiken, sondern lenkt auch aktiv Kredite an ökologisch nachhaltige Unternehmen um. Dies bedeutet jedoch keine grundlegende Veränderung der institutionellen Rolle der BoE, sondern stellt vielmehr eine Art Politikinnovation dar, die auf die veränderten Herausforderungen reagiert. Obwohl die Hierarchie der Ziele der BoE unverändert bleibt, haben sich die mit diesen Zielen verbundenen politischen Fragen erheblich verändert.
Desinformation – eine Herausforderung für die Demokratie
Von Kai Unzicker
In der EU besteht eine starke Nachfrage nach mehr Maßnahmen gegen die absichtliche Verbreitung falscher und gefälschter Inhalte im Internet. Eine aktuelle Studie des Projekts „Upgrade Democracy“ der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass 85 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger der Meinung sind, dass politische Entscheidungsträger mehr gegen Desinformation unternehmen sollten. 89 Prozent sind der Meinung, dass auch Social-Media-Plattformen mehr tun sollten. Die Studie zeigt, dass das Problem in der EU durchaus wahrgenommen wird: 54 % der Befragten sind sich oft nicht sicher, ob Online-Informationen wahrheitsgemäß sind, und 39 % geben zu, schon einmal mit Desinformation konfrontiert gewesen zu sein. Für Kai Unzicker, Autor der Studie und Experte für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt, sind verlässliche Informationen für eine fundierte Meinungsbildung und einen demokratischen Diskurs unerlässlich. Er betont, dass der Umgang mit Desinformation entscheidend für den Schutz und die Stärkung der Demokratie ist und dass der Einzelne mit dieser Herausforderung nicht allein gelassen werden darf.
Fehleinschätzung der Einkommen und Populismus
Von Thilo N. H. Albers, Felix Kersting & Fabian Kosse
Thilo N. H. Albers, Felix Kersting & Fabian Kosse von der Universität Würzburg stellen in einem kürzlich veröffentlichten Working Paper fest, dass Fehleinschätzungen des eigenen wirtschaftlichen Status eine wichtige Rolle bei der Erklärung populistischer Tendenzen spielen. In einer umfassenden Befragung deutscher Haushalte, in der sie die Empfänglichkeit der Personen für Rechtspopulismus und ihre wahrgenommene Einkommensposition messen, stellen sie fest, dass Personen, die ihr Einkommen pessimistisch einschätzen, empfänglicher für populistische Rhetorik sind. Vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede sind für das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Fehleinschätzung und Populismus entscheidend: Männer neigen dazu, eine größere Affinität zu populistischen Idealen zu zeigen, wenn sie unzufrieden sind. Interessanterweise führt die Bereitstellung korrekter Informationen weder zu einer dauerhaften Korrektur von Fehlwahrnehmungen noch zu einer wirksamen Abschwächung populistischer Tendenzen.