NEUES LEITMOTIV

Die New Paradigm Papers des Monats April

Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.

VON

MAREN BUCHHOLTZ

VERÖFFENTLICHT

6. APRIL 2023

LESEDAUER

5 MIN

Klimasoziale Transformation – Klimaschutz und Ungleichheitsreduktion wirken Hand in Hand

Miriam Rehm, Vera Huwe, Katharina Bohnenberger

Als Teil der Publikationsreihe „Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft“ im Projekt „Economics of Transformation“ der Bertelsmann-Stiftung untersucht diese Studie den Zusammenhang zwischen Verteilungsgerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit. Vermögensungleichheit kann den Emissionsanstieg begünstigen, wenn die einkommensstärkeren Gruppen durch ihren tendenziell CO2-intensiveren Konsum energieintensivere Produktinnovationen und entsprechende Konsummuster in der Mittelschicht befördern und wenn sie im Sinne von fossilen Unternehmensinteressen auf politische Entscheidungsprozesse einwirken. Einkommensschwache Gruppen verursachen durch ihren geringeren Konsum verhältnismäßig weniger Emissionen, tragen jedoch ein höheres Risiko, durch gesundheitliche und sozioökonomische Klimaschäden betroffen zu sein. Klimapolitische Maßnahmen berücksichtigen diesen Zusammenhang noch nicht ausreichend, denn nach wie vor gilt die Effizienz als maßgeblicher Hebel der grünen Transformation. Um klimaneutrale Lebensstile für alle Einkommensgruppen zu fördern, ist nach Auffassung der Autorinnen ein erweiterter Fokus nötig, der sowohl auf Effizienz als auch Suffizienz setzt und nachfragebasierte Instrumente einbezieht. Beispiele sind eine Nutzungsabgabe auf energieintensiven Luxuskonsum („Klimasoli“) und eine Pro-Kopf-Auszahlung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung („Klimadividende“). Zudem solle jedem Menschen ein lebensnotwendiges Grundkontingent an Energie, Mobilität, Nahrung, Wasser zubilligt werden (sog. „Klimakreditkarte“). In diesem Modell würden Marktpreise erst ab einem Konsum, der den existenziellen Grundbedarf übersteigt, wirken, um einkommensarme Haushalte, die in der aktuellen Energiekrise besonders leiden, zu schützen. Des Weiteren könnte eine Beschäftigungsgarantie den Wandel in energieintensiven Branchen („fossile Konversion“) fördern. Mit dieser Studie entwickeln die Autorinnen wirtschaftspolitische Strategien für die sozio-ökologischen Transformation.

Sellers’ Inflation, Profits and Conflict: Why can Large Firms Hike Prices in an Emergency?

Isabella M. Weber & Evan Wasner

Diese Studie zeigt anhand von Unternehmensdaten wie sich seit Beginn der Covid-19-Pandemie die Preissetzung von Firmen mit Marktmacht auf die gesamtwirtschaftliche Inflationsdynamik in den USA ausgewirkt hat. Dazu wurden Gewinnmargen und Bilanzpressekonferenzen von US-Unternehmen ausgewertet. Diese Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass die ursprünglichen Inflationsschocks, die Kostensteigerungen durch Lieferengpässe in der Covid-19-Pandemie und die Rohstoffpreisentwicklung nach Kriegsbeginn, die einseitige Preissetzung durch Firmen begünstigt hat und dass diese Wirkungskanal die Inflation maßgeblich angetrieben hat („sellers inflation“). Weber und Wasner konstatieren, dass Marktmacht nicht konstant fortbesteht, sondern sich dynamisch in einem sich verändernden Angebotsumfeld entwickelt. Laut dieser Interpretation der US-Inflationsentwicklung ist eine eindeutige Unterscheidung in vorübergehend und anhaltende Inflation nicht zielführend. Vielmehr hängt es im konkreten Fall von der Reaktion der Unternehmen und Arbeitnehmer ab, ob durch die ursprünglichen Schocks, d. h., die Lieferengpässe und der Energiepreisschock, eine permanente Inflationsspirale einsetzt. Am effektivsten könnte die Politik daher handeln, indem sie bei den Ursachen des Inflationsschocks ansetze. Übliche makroökonomische Mittel der Inflationsbekämpfung sind nach Ansicht der Autoren keine optimale Lösung, wenn es sich um eine überwiegend durch mikroökonomische Prozesse befeuerte Inflation handelt.

Loose Monetary Policy and Financial Stability

Maximilian Grimm, Òscar Jordà, Moritz Schularick, Alan M. Taylor

Anhand von wirtschaftshistorischen Daten legen die Autoren dar, dass expansive Geldpolitik, die über lange Zeiträume andauert, die langfristige Stabilität des Finanzsystems untergraben kann. Durch „billiges Geld“ steige die Wahrscheinlichkeit, dass Vermögenswerte überhitzen und Kreditblasen entstehen. Auf der Mikroebene ist die höhere Risikobereitschaft von Banken und Haushalten in einer Zeit von lockerer Zinspolitik durch eine umfangreiche Literatur dokumentiert. Diese neue Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie diese individuellen Investitionsentscheidungen zusammenwirken und zu Boom- und Bust-Zyklen in der Kreditschöpfung beitragen.

Institutional supercycles: an evolutionary macro- finance approach

Yannis Dafermos, Daniela Gabor & Jo Michell

Auf der Grundlage des Minsky’schen Konzepts der makroökonomischen und finanziellen „Superzyklen“ wird in dieser Studie ein neues Konzept zur Messung der makrofinanziellen Stabilität eingeführt. Im neuen Rahmen der Autoren wirken sich Veränderungen in den Arbeitsmarktinstitutionen, den Systemen der makroökonomischen Steuerung und der Finanzregulierung (d. h. „Institutionen“) auf das Kräfteverhältnis zwischen Arbeit, Kapital und Rentiers aus, was wiederum die makroökonomische Entwicklung beeinflusst. Durch Aggregation makroökonomischer und finanzieller Variablen (u. a. Wachstum, Beschäftigung, Defizit-BIP-Verhältnis, Kredit-BIP-Verhältnis, Inflation usw.) konstruieren die Autoren einen Index für makrofinanzielle Stabilität. Diesem Index zufolge verlief die makroökonomische und finanzielle Entwicklung in den G7-Ländern seit der Nachkriegszeit nach ähnlichen Mustern. Der Industriekapitalismus (1960er bis 1990er Jahre) und die finanzielle Globalisierung (1990er bis heute) werden als die beiden wichtigsten „institutionellen Superzyklen“ in der G7 identifiziert.

 Präferenzen für Arbeit und Freizeit: Ist das Arbeitsangebot eine Funktion dessen, was Arbeitnehmer:innen bevorzugen?

Patrick Kaczmarczyk & Andrew Bell

Das Gros der arbeitsmarktökonomischen Literatur, insbesondere die „culture of leisure“ Literatur, geht davon aus, dass die individuelle Nutzenmaximierung das individuelle Arbeitsangebot maßgeblich prägt. In dieser neuen Studie wird die zugrundeliegende Annahme getestet, nach der die unterschiedlichen Präferenzen der Arbeitnehmer die Arbeitszeiten und die Erwerbsbeteiligung bestimmen. Anhand von Befragungsdaten der World und European Value Surveys testen die Autoren diese These in einem mehrstufigen Logit-Modell. Sie finden weder einen direkten Zusammenhang zwischen individuellen Präferenzen der Beschäftigten und der Wahrscheinlichkeit, dass eine Person erwerbstätig ist, noch mit der Wahl zwischen Vollzeit und Teilzeit. Daraus schlussfolgern sie, dass Arbeitslosigkeit ein institutionelles Problem ist und weniger ein Ergebnis individueller Präferenzen.

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