NEUES LEITMOTIV

Die New Paradigm Papers des Monats Februar

Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.

VON

MAREN BUCHHOLTZ

VERÖFFENTLICHT

3. FEBRUAR 2023

LESEDAUER

5 MIN.

The Tale of the German Gas Price Brake: Why We Need Economic Disaster Preparedness in Times of Overlapping Emergencies

Isabella M. Weber, Thore Beckmann and Jan-Erik Thie

In diesem aktuellen Beitrag plädieren Weber, Beckmann und Thie für neue wirtschaftliche Ansätze wie die Preisstabilisierung in Krisenzeiten. Als Lehre aus der jüngsten Energiekrise fordern die Autoren neue Institutionen, die die Preisentwicklung überwachen und den Regierungen eine rasche Reaktion auf sektorale Schocks ermöglichen.

Nach dem Gaspreisschock infolge des Krieges Russlands gegen die Ukraine hat die deutsche Regierung ein relativ unorthodoxes politisches Instrument eingeführt, die sogenannte Gaspreisbremse. Das Instrument beinhaltet ein zweistufiges Preissystem: Es federt die Inflationsschocks bei den Heizkosten für die Verbraucher, insbesondere für Haushalte mit geringem Einkommen, ab, während gleichzeitig Sparanreize bestehen bleiben, indem das obere Ende der Preisspanne unangetastet bleibt. Die Gaspreisbremse entlastet zwar Haushalte und Unternehmen, ist aber ein warnendes Beispiel dafür, wie wirtschaftspolitische Entscheidungen, die unter extremem Zeitdruck gefällt werden, zu unzureichenden Ergebnissen führen können. In diesem Fall wird das eigentliche Instrument mit weniger Rücksicht auf soziale Gerechtigkeit umgesetzt als in Webers ursprünglichem Vorschlag. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Gaspreisbremse, so ist es bemerkenswert, dass es mehr als ein halbes Jahr gedauert hat, bis die Idee von der Bundesregierung ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, nachdem lange Zeit sie in weiten Teilen der deutschen Wissenschaft, Medien und Politik auf Ablehnung gestoßen war. Angesichts des nahenden Winters beeilte sich die Expertenkommission dann, die Details innerhalb weniger Wochen zu konkretisieren. Im Ergebnis weicht das umgesetzte Instrument von der ursprünglichen Idee ab, indem es sich eher an der bisherigen Nutzung als am Grundbedarf orientiert.

Ein Paradigmenwechsel vom reaktiven Krisenmanagement der vergangenen Jahre hin zu einer Notfallvorsorge und einem aufgabenorientierten, marktgestaltenden Staat ist notwendig, um die Krise in eine Chance zu verwandeln.
Weber, Beckmann und Thie

RRF 2.0: A Permanent EU Investment Fund in the Context of the Energy Crisis, Climate Change and EU Fiscal Rules

Philipp Heimberger; Andreas Lichtenberger

Neue Daten deuten darauf hin, dass die offiziellen Ziele für die Klimaneutralität die hierfür benötigten öffentlichen Investitionen weitgehend unterschätzen. Aus diesem Grund plädieren Lukas Heimberger und Andreas Lichtenberger für eine neue europäische Fazilität als Anschluss an den während der Corona-Pandemie aufgelegten Aufbau- und Resilienzplan („RRF 2.0“). Ihrer Einschätzung nach reicht der aktuelle Reformvorschlag der Kommission nicht aus, um den öffentlichen Investitionsbedarf für Klima und Energie in Europa zu decken. Abgesehen davon, dass dieses Instrument den notwendigen fiskalischen Spielraum zur Bewältigung der Energie- und Klimakrise schafft, könnte sie auch die europäische Souveränität stärken und die EU in die Lage versetzen, einen gemeinsamen zukunftsorientierten und geostrategischen Investitionsansatz zu verfolgen.

Shipping costs and inflation

Yan Carrière-Swallow, Pragyan Deb, Davide Furceri, Daniel Jiménez, Jonathan D. Ostry

Diese neue Studie identifiziert Verschiffungskosten als wichtigen Treiber der Inflation. Die während der Pandemie stark beeinträchtigten Lieferketten trieben Kosten für die Überseefracht in die Höhe und verteuerten somit einen Großteil aller Importe, was sich sowohl im Anstieg der Hauptpreisindizes als auch der Kerninflationsrate und den Inflationserwartungen niederschlug. Dies haben die Autoren anhand der Entwicklung des Baltic Dry Index nachweisen können, der die Kosten für die Verschiffung von Hauptfrachtgütern (u.a. Kohle, Eisenerz, Getreide) bemisst. In ihrer Auswertung finden die Autoren heraus, dass die Inflationswirkungen der Pandemie im globalen Kontext ein ähnliches Maß wie Öl- und Lebensmittelshocks umfassen und dazu noch länger anhalten. Damit schließt das Paper eine wichtige Forschungslücke in der empirischen Literatur über Inflation, die bisher die Rolle der Transportkosten eher vernachlässigt hat.

Wealth inequality dynamics in europe and the united states: Understanding the determinants

Thomas Blanchet und Clara Martínez-Toledano

Erstmalig legen die Autoren eine Vermögensverteilungsrechnung für Europa vor und vergleichen die Ergebnisse mit den Entwicklungen in den USA. Für den Zeitraum von 1970 bis 2020 haben sie sowohl das Vermögen, die Verbindlichkeiten und die Investitionsströme der europäischen Haushalte als auch die Vermögensverteilung gemessen. Im Vergleich mit den USA wird deutlich, dass das Verhältnis von Vermögen und Einkommen in beiden Regionen seit den 1970ern in ähnlicher Weise angestiegen ist. Allerdings ist die Vermögenskonzentration in Europa weniger schnell gewachsen. Mit Hilfe einer Zerlegung der Vermögensakkumulation und kontrafaktischen Simulationen zeigen Blanchet und Martínez-Toledano, dass der schwächere Anstieg der Ungleichheit bei den Arbeitseinkommen und der stärkere Anstieg der Immobilienpreise im Vergleich zu den Finanzanlagen in Europa zu erklären scheinen, warum die Vermögenskonzentration hier seit Mitte der 1980er Jahre weniger stark zugenommen hat als in den USA.

Die Funktionsbedingungen einer resilienten Wirtschaft

Elke Muchlinski

Als zentrale Bedingung für die wirtschaftliche Resilienz Europas formuliert die Autorin eine Neudefinition Deutschlands im Sinne eines ökonomischen und gesellschaftlichen Zeitenumbruchs. Es habe sich sowohl in der Pandemie als auch im Ukrainekrieg gezeigt, dass habituelle Handlungsmuster von Deutschland im Kontext der Europäischen Währungsunion und Europas neu definiert werden müssten. In ihrem Beitrag führt sie aus, dass sowohl der gesellschaftliche Gestaltungswille als auch eine produktive und effektive Planung und Kooperation von Markt, Staat und Zentralbanken für eine resiliente Wirtschaft nötig sei.

Die resiliente Wirtschaft zeichnet sich durch Mut zum Erproben neuer Handlungsmöglichkeiten aus, um auf wirtschaftliche Schocks flexibel zu reagieren.
Elke Muchlinski
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