NEUES LEITMOTIV

Die New Paradigm Papers im Monat Januar

Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

5. JANUAR 2023

LESEDAUER

5 MIN

Inflation in Zeiten sich überschneidender Notlagen: Systemisch bedeutsame Preise aus einer Input-Output-Perspektive

Isabella M. Weber, Jesus Lara Jauregui, Lucas Teixeira, Luiza Nassif Pires

Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine, der Klimakrise, Pandemie und anderer geopolitischer Störungen sind Versorgungsschocks wieder häufiger geworden und die Inflation steigt. Aufgrund dieser sich überschneidenden globalen Notlagen ist es nur wahrscheinlich, dass Preisschocks in Zukunft immer häufiger auftreten werden. In den meisten Fällen von Preissteigerungen war der Anstieg in der Anfangsphase stark sektorbezogen, bevor er sich auf die gesamte Wirtschaft ausweitete. Dies wirft die Frage auf, wie sektorspezifische Schocks mit der allgemeinen Preisstabilität zusammenhängen und ob Schocks in einigen Sektoren für die allgemeine Preisstabilität wichtiger sind als in anderen. In einem kürzlich erschienenen Beitrag versuchen Isabella Weber et al. , eine Methode zur Ermittlung von jenen Branchen und Preisen zu entwickeln, die eine systemische Relevanz für die Geldwertstabilität in den USA darstellen.

Die Autoren verwenden ein Leontief-basiertes Input-Output-Modell, in dem sie Preisschocks simulieren, um systemrelevante Preise zu identifizieren. Dabei weichen sie von der Auffassung ab, dass die Inflation ausschließlich makroökonomischen Ursprungs ist und die Schlüsselvariablen zur Kontrolle der Inflation die Geldmenge und die Staatsausgaben sind. Die Autoren stellen fest, dass für die durchschnittlichen Preisvolatilitäten vor der Pandemie und die Preisschocks während der COVID-19- und der Ukraine-Kriegsinflation eine fast identische Auswahl an systemrelevanten Preisen verantwortlich war. Diese Sektoren mit systemrelevanten Preisen lassen sich in drei Gruppen einteilen: Energie, grundlegende Produktionsinputs (außer Energie), Güter des Grundbedarfs sowie kommerzielle und finanzielle Infrastruktur. Während die heutigen Institutionen zur wirtschaftlichen Stabilisierung auf einem aggregativen makroökonomischen Ansatz beruhen, argumentieren Weber et al., dass die wirtschaftliche Stabilisierung in Zeiten sich überschneidender Notlagen über die Geldpolitik hinausgehen muss und Institutionen und politische Maßnahmen erfordert, die systemrelevante Sektoren über mikroökonomische Maßnahmen ansprechen können.

Beschäftigung der Arbeitslosen von Marienthal: Evaluierung eines Programms mit Arbeitsplatzgarantie

Maximilian Kasy, Lukas Lehner

Als politisches Instrument zur Behebung struktureller Schwächen des Arbeitsmarktes hat die Arbeitsplatzgarantie bei politischen Entscheidungsträgern zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. Zwar gibt es bisher nur wenig Forschung zu den Auswirkungen solcher Programme, aber einige Länder gehen mit Pilotprogrammen voran. So haben Frankreich und Österreich eher unorthodoxe staatlich geförderte Maßnahmen eingeführt, um die vorherrschende Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Im Oktober 2020 startete das Landesarbeitsamt für Niederösterreich in der Gemeinde Gramatneusiedl ein Pilotprojekt für die Arbeitsplatzgarantie, um die Langzeitarbeitslosigkeit in der Region zu verringern und gleichzeitig das Wohlbefinden, die Gesundheit und die sozialen Bedingungen der Teilnehmer zu verbessern. Erste Auswertungen des Pilotprojekts wurden kürzlich in einem Beitrag der Oxford-Ökonomen Maximilian Kasy und Lukas Lehner veröffentlicht. Darin identifizieren die Autoren starke positive Auswirkungen der Programmteilnahme auf das wirtschaftliche (Beschäftigung, Einkommen, Sicherheit) und nichtwirtschaftliche Wohlbefinden der Teilnehmer (soziale Anerkennung, Zeitstruktur, soziale Interaktionen, kollektive Ziele). Auf kommunaler Ebene stellen sie einen starken Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit und einen leicht abgeschwächten Rückgang der Gesamtarbeitslosigkeit fest. Es gibt auch Belege für positive Antizipationseffekte für künftige Programmteilnehmer in Bezug auf das subjektive Wohlbefinden, den Status und die soziale Eingliederung im Vergleich zu nicht förderfähigen Personen in Kontrollstädten.

Technologischer und organisatorischer Wandel und die Karrieren von Arbeitnehmern

Michele Battisti , Christian Dustmann und Uta Schönberg

Was passiert, wenn sich neue Technologien am Arbeitsplatz durchsetzen? Eine neue Studie von Michele Battisti, Christian Dustmann und Uta Schönberg untersucht die Auswirkungen des technologischen und organisatorischen Wandels (T&O) auf Arbeitsplätze und Arbeitnehmer. Dazu kombinierten Battisti et al. verschiedene Datenquellen aus Deutschland über einen Zeitraum von 18 Jahren, darunter Umfragedaten von Tausenden Unternehmen und Registerdaten aus dem Sozialversicherungssystem, mit denen sich die Karrierewege von Arbeitnehmern verfolgen lassen. Entgegen der öffentlichen Annahme stellen die Forscher fest, dass T&O zwar tatsächlich die Nachfrage der Unternehmen nach Routinejobs im Vergleich zu abstrakten Aufgaben verringert, die betroffenen Arbeitnehmer jedoch im Allgemeinen im Unternehmen beschäftigt bleiben und keinen geringeren Einkommenswachstums verzeichnen als nicht betroffene Arbeitnehmer. Vielmehr bieten Unternehmen, die T&O-Maßnahmen einführen, Routinearbeitskräften Umschulungsmöglichkeiten an, damit sie auf andere Arbeitsplätze wechseln können. Unternehmen, die besonders gut darin sind, ihre eigenen Mitarbeiter in anspruchsvollere Positionen zu bringen, anstatt sie zu entlassen, sind vor allem solche, die ohnehin regelmäßig junge Menschen ausbilden.

Die Autoren stellen jedoch eine wichtige Ausnahme zu ihren Ergebnissen fest: Obwohl im Zuge des technologischen Wandels im Durchschnitt ihre Arbeit nicht verlieren, besteht für Arbeitnehmer über 55 Jahren ein erhöhtes Risiko, dass der technologische und organisatorische Wandel zu einem dauerhaften Wechsel in die Nichtbeschäftigung führt, unabhängig davon, welche Aufgaben sie zuvor im Unternehmen erfüllt haben. Darüber hinaus erhöht der technologische und organisatorische Wandel solche Übergänge nicht nur für ältere Routinebeschäftigte, sondern für alle älteren Arbeitnehmer, einschließlich derjenigen in abstrakten Tätigkeiten und derjenigen mit einem Hochschulabschluss. Als möglichen Grund führen die Autoren an, dass es aufgrund einer kürzeren Amortisationszeit sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite geringere Anreize für Investitionen in neue Qualifikationen gibt.

Die Ergebnisse zeigen nicht nur die Möglichkeiten auf, die negativen Auswirkungen von T&O auf die Arbeitskräfte durch innerbetriebliche Weiterbildung abzufedern, sie haben auch Auswirkungen über den Arbeitsmarkt hinaus. „Wenn wirtschaftliche Faktoren tatsächlich eine wichtige Rolle bei der Erklärung des jüngsten Aufstiegs des Populismus spielen, dann könnten Institutionen, die gefährdete Arbeitnehmer vor den möglicherweise negativen Folgen des technologischen Fortschritts (und der Globalisierung) schützen, auch weitreichende politische Folgen haben.“

Umgang mit den Verteilungseffekten der Klimapolitik: Der schmale Pfad der Just Transition

Francesco Vona

Vor dem Hintergrund der sich beschleunigenden Klimakrise und der zunehmenden Ungleichheit hat die Vereinbarkeit von sozialen und ökologischen Zielen n der aktuellen Debatte zur Green Transition enorme Aufmerksamkeit erhalten. Bis heute fehlen jedoch belastbare Daten darüber, wie ein politisches Paket zur Erreichung eines „gerechten“ Übergangs zur klimaneutralen Wirtschaft gestaltet werden kann. In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung greift Francesco Vona die Debatte über die Verteilungseffekte der Klimapolitik und die Just Transition auf und skizziert Politikpakete, die die Verteilungseffekte der Klimapolitik abmildern und gleichzeitig eine hohe politische Akzeptanz haben. Abweichend von der üblichen Wohlfahrtsanalyse berücksichtigt der Autor in seinem Bewertungsrahmen Anpassungsdynamiken und multiples Marktversagen. Anhand dieses Rahmens vergleicht er die Leistung von fünf grünen Maßnahmenpaketen (Rabatte, ökologische Steuerreformen, Green-Deal-Pläne, regionalpolitische Maßnahmen und progressive grüne Subventionen) im Hinblick auf ihre politische Akzeptanz.

Neben anderen breiteren Literatursträngen findet der Autor auch Hinweise darauf, dass das bestehende Ausmaß an Ungleichheit und nicht nur die erwarteten Verteilungseffekte der Klimapolitik ein wesentliches Hindernis für die erfolgreiche Umsetzung der Klimapolitik darstellen. Dies bedeutet, dass die Verabschiedung ehrgeiziger grüner Politikpakete möglicherweise mit allgemeinen Reformen des Steuersystems kombiniert werden muss, zum Beispiel mit einem höheren Maß an Steuerprogressivität.

NEUES LEITMOTIV 2. DEZEMBER 2022

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