NEUES LEITMOTIV

Inflation als Verteilungskonflikt?

Wie kommt es eigentlich zu Inflation? Über eine simple Frage ohne simple Antworten.

VON

DAVID KLÄFFLING

VERÖFFENTLICHT

9. JANUAR 2023

LESEDAUER

5 MIN
"Ich glaube, wir verstehen jetzt besser, wie wenig wir eigentlich über Inflation wissen."
Jerome Powell, Juni 2022

Wenn es eine Sache gibt, die Makroökonomen – vor allem diejenigen, die bei der FED arbeiten – verstehen sollten, dann ist es die Inflation. Daher mag die Aussage des FED-Vorsitzenden Jerome Powell im Juni 2022 auf einem EZB-Forum für Verwunderung sorgen. Seine Aussage über die Grenzen des makroökonomischen Wissens sollte jedoch niemanden überraschen, der die jüngste Debatte auf Econtwitter zum Jahreswechsel über das Verständnis der Inflation verfolgt hat. Es hatte nicht den Anschein, als gäbe es einen eindeutigen Konsens über die Ursachen der Inflation.

Olivier Blanchard eröffnete die Debatte mit einem Twitter-Thread, in dem er argumentierte, dass der Inflation ein Verteilungskonflikt zwischen Arbeitnehmern, Unternehmen und Steuerzahlern zugrunde liege.

Diese post-keynesianische Perspektive bringt neben der Zentralbank auch andere staatliche Akteure mit ins Spiel, wenn es um die effizienteste Politikantwort auf aktuelle Inflationsdynamik geht. Denn Zentralbanken scheinen nicht unbedingt die geeignetsten Institutionen zu sein, um Verteilungskonflikte zu lösen.

Der Neu-Keynesianische Konsens

Die neu-keynesianische Phillips-Kurve setzt Inflation mit der Gesamtnachfrage und Inflationserwartungen in den Zusammenhang. Wenn die Volkswirtschaft nah an ihrem Potential ist oder die marginalen Kosten einer zusätzlichen Produktionseinheit steigen (z.B. wegen Energiepreisen), nutzen Firmen ihre Preissetzungsmacht, um Preise anzugeben, was zur Inflation führt. In diesem Modell sind Zentralbanken die einzige Möglichkeit, um Inflation effektiv zu bekämpfen, indem sie den Leitzins anheben, um die Nachfrage zu dämpfen (und damit die Arbeitslosigkeit zu erhöhen) und Inflationserwartungen zu ankern. Die Frage, die Blanchard gestellt hat, ist, ob das wirklich immer die effizienteste Politikantwort ist, oder ob es einen weniger kostspieligen Weg gibt.

Versteht man die Inflation als Verteilungskonflikt zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern, die in einer Preis-Lohn-Spirale gefangen sind[1], wird der Umgang mit der Inflation zu einem Koordinationsproblem. Krugman erläuterte diese Idee in seiner Kolumne in der New York Times mit dem Titel „The Football Game Theory of Inflation“, in der er den Prozess mit Zuschauern bei einem Fußballspiel verglich, bei dem jeder versucht, aufzustehen, um alle anderen zu überblicken, und das Ergebnis ist, dass niemand besser sehen kann als vorher, aber nun alle müde Beine haben. In dieser Analogie sorgt die Zentralbank dafür, dass sich alle hinsetzen, indem sie das Spiel uninteressanter macht und die Erschöpfung auf Kosten der Langeweile verringert. Aber was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, dass niemand aufstehen würde? Und wie kann man koordinieren, wenn einige komme was wolle aufstehen?

Wie Claudia Sahm in ihrem Blog argumentiert, ist die Geldpolitik nicht die einzige Option für politische Entscheidungsträger. Da die Inflation ein mehrdimensionales Problem ist, sind Maßnahmen auf allen politischen Ebenen erforderlich, was den Spielraum für fiskalische oder regulatorische Maßnahmen eröffnet.

"Das Weiße Haus hat die strategische Erdölreserve geöffnet und Verträge mit den Erdölproduzenten geschlossen, um einen Mindestpreis für die Auffüllung der Reserve zu garantieren. Der Kongress verabschiedete den Inflation Reduction Act mit unserer ersten Klimapolitik, die uns vor künftigen Energiepreisspitzen auf den globalen Märkten für fossile Brennstoffe schützen wird. Es ist noch viel mehr möglich."
Claudia Sahm, Stay-At-Home Macro

Eine Möglichkeit wäre eine strategische Preispolitik bei „systematisch signifikanten Preisen“, wie von Isabella Weber vorgeschlagen. In der Analogie zum Fußballstadion würde dies die Leute in der ersten Reihe daran hindern, aufzustehen. In einem neuen Arbeitspapier, das sie zusammen Ko-Autoren verfasst hat, werden Verteilungserwägungen mit einem Input-Output-Modell der Inflation berücksichtigt, wobei zwischen bestimmten Waren und Sektoren unterschieden wird.

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