UNGLEICHHEIT
Reiche besteuern - oder was? Politische Lehren des Simulators
Die politischen Lehren, die sich aus den neuen Daten des Vermögens-Simulators ergeben, waren Thema eines hochkarätigen Panels beim Launch-Event vergangenen Freitag.
VON
SONJA HENNENVERÖFFENTLICHT
17. NOVEMBER 2023LESEDAUER
4 MINEs brodelt im politischen Berlin. In jüngster Zeit häufen sich Vorschläge aus verschiedenen politischen Lagern, die darauf abzielen, die Ungleichheit in Deutschland zu verringern. So forderten die Jusos unlängst ein Grunderbe von 60.000 Euro, die CDU-Fachkommission höhere Steuern für Reiche. Zweifelsfrei ist die Vermögensungleichheit ein zentrales Thema in der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte. Gerade einmal 17 Prozent der Deutschen empfinden die aktuelle Verteilung laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung als gerecht.
Bisher fehlte es in der Debatte oft an einer soliden Datengrundlage. Der vom Forum New Economy gemeinsam mit einer Wissenschaftlergruppe um Timm Bönke und Charlotte Bartels vom DIW Berlin entwickelte Vermögens-Simulator gibt nun erstmals Antworten darauf, welches Instrument wie stark dazu beitragen würde, Vermögen in Deutschland gerechter zu verteilen.
Die verteilungspolitischen Folgen, die sich auf Basis dieser neuen Daten abschätzen lassen, und ihre politischen Konsequenzen, haben wir vergangenen Freitag bei der Vorstellung des Simulators von BMWK-Chefökonomin Elga Bartsch, CDU-Politiker Mario Czaja, dem früheren SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und dem früheren Linken-Abgeordneten Fabio de Masi diskutieren lassen. Die Diskussionsrunde wurde von Ellen Ehmke von der Robert Bosch Stiftung moderiert.
Unstrittigkeit bestand in der Politikerrunde ob der Tatsache, dass eine differenzierte Betrachtung der Vermögensverteilung in Deutschland, einem der OECD-weit ungleichsten Länder in Bezug auf Vermögen, dringend nötig sei. Diese Ungleichverteilung werde zusätzlich durch die hierzulande geringe soziale Mobilität verschärft. Deutschland sei eine Erbengesellschaft, in die es schwer sei, vorzudringen.
„Es ist in der Tat so, und das zeigt sowohl der Vermögens-Simulator, als auch Umfragen, dass das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, das Adjektiv sozial, eigentlich nur sehr begrenzt eingelöst wurde in der Vergangenheit.“
„Der Vermögens-Simulator gibt uns die Möglichkeit das Thema gerechterer Ausgangsbedingungen für alle Menschen, die in unserem Land leben, auch wissenschaftlich basiert zu diskutieren. Und wir sehen, dass wir Ungerechtigkeiten im Land haben, dass die Startchancen nicht gleich sind.“
Die Ergebnisse des Simulators legen nahe, dass die Effekte der oft diskutierten Vermögens- oder Erbschaftsteuer von ein oder zwei Prozent an den Vermögensverhältnissen nur wenig ändern würden. Dies liegt, neben der Vielzahl bestehender Ausnahmeregelungen für hohe Erbschaften und Vermögen, unter anderem daran, dass nur 30 Prozent der Menschen in Deutschland in ihrem Leben überhaupt eine Erbschaft erhalten. Fast die Hälfte der Bevölkerung besitzt gar kein Vermögen. Mehr würde sich daher ändern, wenn man in der Breite den Menschen Geld zur Verfügung stellen würde, wie dies Instrumente wie das Startkapital oder die soziale Dividende vorsehen.
Norbert Walter-Borjans sagte zu den Ergebnissen, dass er überzeugt sei, dass eine große Wirkung dann eintrete, wenn man Menschen mit wenig oder keinem Vermögen ein Stück Anschub geben könne. Dies schaffe nicht nur eine gewisse Sicherheit, sondern auch die Chance, mehr Risiken einzugehen. Er wies darauf hin, dass man den Vorschlag eines Grunderbe auch vor dem Hintergrund diskutieren müsse, dass 98,4% der Erbschaften im Westen anfielen. Somit sei die ungleiche Verteilung nicht nur eine Frage von oben und unten, sondern ebenso von West und Ost – und von Männern und Frauen. Wichtig sei auch, darüber zu diskutieren, an welche Konditionen die Auszahlung eines Startkapitals gebunden sei (im Simulator erfolgt die Auszahlung zweckgebunden, d.h. die Gelder dürfen ausschließlich zu Bildungszwecken, Unternehmensgründungen oder z.B. den Erwerb von Immobilienvermögen verwendet werden).
Er plädierte zudem dafür, die Einnahmen aus einer Erbschaftsteuer für die Finanzierung ausgabeorientierter Instrumente wie das Grunderbe zu verwenden. Andernfalls sei auf Dauer der soziale Frieden nicht haltbar.
„Wir brauchen die Besserstellung einer großen Gesellschaftsschicht."
Dazu müsse man die immer weiter enteilenden hohen Vermögen miteinbeziehen.
Mario Czaja, in der Vergangenheit einer der prominentesten Befürworter eines staatlichen Startkapitals, sprach sich in der Diskussion dafür aus, die Gelder für das Instrument über einen Staatsfond zu verwalten, der so eine Rendite erzielen könne. Er erhoffe sich davon auch, mehr Menschen zu animieren, in Kapitalanlagen mit höherer Rendite zu investieren.
Fabio de Masi warnte davor, den Anspruch zu haben, mit einem einzelnen Instrument das komplette Problem der Ungleichheit bekämpfen zu wollen.
„Richtig ist, es bringt natürlich wenig, wenn wir besteuern und gleichzeitig keine Aufstiegschancen schaffen. Wenn Wohlstand zwar gerecht verteilt ist, aber alle arm wie eine Kirchenmaus sind.“
Deshalb sei es interessant über das Grunderbe nachzudenken. Gleichzeitig müsse man Zweitrunden- und Feedbackeffekte, zum Beispiel bei der Entwicklung der Immobilienpreise, berücksichtigen. Deshalb sei eine Kombination der Instrumente wichtig. Insbesondere im Bereich der Megavermögen müsse man weiterhin über progressive Tarife nachdenken. Eine zu starke Vermögenskonzentration sei nicht nur eine ökonomische Frage, sondern habe auch Einfluss auf den politischen Raum.
Der Frage, ob in der aktuellen Legislaturperiode Aussicht darauf bestehe, dass einzelne der simulierten Maßnahmen umgesetzt werden, erteilte Elga Bartsch eine Absage. Zwar sei das große Beharrungsvermögen der Verteilung besorgniserregend. Die Schuldenbremse setze den ausgabewirksamen Konzepten aber Grenzen. Daher müsse man die Frage nach den Politikmaßnahmen weiter fassen. Die Vermögensverteilung sei das Endergebnis von langanhaltenden komplexen ökonomischen Prozessen. Dazu zählen laut Bartsch die zunehmende Unternehmenskonzentration, unzureichende Einkommen, fehlende Teilhabechancen im Bildungssystem oder die mangelnde Ertüchtigung der Altersvorsorge. Über Vorstöße wie die Mindestlohnerhöhung, bessere Tarifbindung oder den Abbau von Steuerhinterziehung könne man ebenfalls dazu beitragen, die Verteilungsgerechtigkeit zu erhöhen.
Anmerkung:
In der ersten Phase des Simulators wurde bewusst jedes Instrument isoliert getestet, um die Größenordnungen der Effekte auf die Vermögensverteilung und die damit einhergehenden Kosten oder Einnahmen für den Staat quantifizierbar zu machen. In der nächsten Stufe des Projektes soll eine erweiterte Version entwickelt werden, mit der sich auch Zweitrundeneffekte und die Kombination von einzelnen Maßnahmen testen lassen. Dann ließe sich beispielsweise auch quantifizieren, inwieweit etwa das Startkapital über höhere Vermögen- oder Erbschaftsteuern zu finanzieren wäre.