NEUES LEITMOTIV
Die New Paradigm Papers des Monats Januar
Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.
VON
SONJA HENNENVERÖFFENTLICHT
15. JANUAR 2024LESEDAUER
4 MINVerteilungspolitische und finanzielle Auswirkungen eines Grunderbes in vier europäischen Ländern
Von Guillem Vidal-Lorda, Andreas Thiemann, Leire Salazar & José A. Noguera
In dieser Studie wird das Konzept des Grunderbes als eine Strategie zur Bekämpfung der wachsenden Ungleichheit in entwickelten Gesellschaften diskutiert. Beim Grunderbe wird allen Bürgern zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben, in der Regel im Erwachsenenalter, ein bedingungsloser Geldbetrag zur Verfügung gestellt. Befürworter sehen darin ein Mittel zur Umverteilung von Wohlstand und zur Verringerung von Chancenungleichheit und schlagen zur Finanzierung höhere Vermögens-, Erbschafts- und/oder Nachlasssteuern vor. Trotz unterschiedlicher Vorschläge zu Ausgestaltung, Höhe und Finanzierungsmethoden gibt es wenig systematische Evidenz zu Kosten und Verteilungswirkungen. Die vorliegende Studie ist die erste vergleichende Evaluation des Grunderbes in mehreren Ländern, die auf harmonisierten Datenquellen basiert. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass ein Grunderbe unter bestimmten Parametern die Ungleichheit in den untersuchten Ländern (Finnland, Deutschland, Irland und Italien) erheblich reduzieren würde und realistischerweise durch eine Besteuerung der obersten 1% finanziert werden könnte.
Labor Market Tightness and Union Activity
Von Chantal Pezold, Simon Jäger & Patrick Nüss
Diese Studie untersucht den Einfluss von Arbeitsmarktbedingungen auf die Entscheidung, einer Gewerkschaft beizutreten. Die Autoren untersuchen die Möglichkeit, dass angespannte Arbeitsmärkte die gewerkschaftliche Organisierung fördern können, indem sie das Risiko von Arbeitslosigkeit oder Vergeltungsmaßnahmen der Arbeitgeber als Reaktion auf gewerkschaftliche Organisierungsversuche verringern. Gleichzeitig wird die Idee diskutiert, dass angespannte Arbeitsmärkte die gewerkschaftliche Organisierung verhindern können, indem sie attraktive Alternativen zum aufwändigen Prozess der gewerkschaftlichen Organisierung bieten. Auf der Grundlage eines groß angelegten Befragungsexperiments unter US-amerikanischen Arbeitnehmern zeigt die Studie einen moderaten Anstieg der Unterstützung für gewerkschaftliche Aktivitäten bei angespannter Arbeitsmarktlage. Die Effekte sind allerdings marginal. Ist die Konjunktur auf ihrem Höhepunkt, steigt die Wahrscheinlichkeit, eine Gewerkschaft zu wählen, um einen Prozentpunkt. Die Ergebnisse stellen die traditionelle Annahme in Frage, dass eine angespannte Arbeitsmarktlage die gewerkschaftliche Organisierung in den USA signifikant fördert.
Inflation, Profite und Marktmacht: Auf dem Weg zu einer neuen Forschungs- und Politikagenda
Von Carsten Jung & Chris Hayes
Die Studie befasst sich mit dem Beitrag von Unternehmensgewinnen zur Inflation. Die Autoren argumentieren, dass die Marktmacht bestimmter Unternehmen, einschließlich der vorübergehenden Marktmacht nach der Pandemie, die Inflation verstärkt und den Preisanstieg noch ausgeprägter und anhaltender gemacht hat – ein Aspekt, der in den vorherrschenden makroökonomischen Debatten nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Gewinnmargen müssen nicht notwendigerweise steigen, damit die Gewinne zur Inflation beitragen. Die Autoren plädieren dafür, Marktmacht und ihre volkswirtschaftlichen Kosten durch einen globalen Marktmachtindex und harmonisierte Messungen von Übergewinnen in den einzelnen Ländern zu erfassen. Außerdem empfehlen die Autoren einen globalen Ansatz zur Besteuerung von Übergewinnen, wobei sie die potenziellen Einnahmen auf 100 Milliarden Dollar weltweit schätzen. Sie plädieren für eine Neuausrichtung der Wettbewerbspolitik, die sich an den neuen Paradigmen der digitalen Märkte orientiert und den Schwerpunkt auf Ex-ante- und sektorspezifische Regulierung legt, um Regeln zu implementieren, bevor es zu wettbewerbswidrigem Verhalten kommt. Die Autoren sehen in der Wettbewerbspolitik ein Instrument zur makroökonomischen Stabilisierung in einem turbulenten Umfeld, das über die traditionelle Rolle der Verhinderung mikroökonomischen Schadens hinausgeht.
Die Ökonomie des Gemeinwohls regeln: von der Korrektur von Marktversagen bis zur Gestaltung kollektiver Ziele
Von Mariana Mazzucato
In diesem Beitrag befasst sich Mariana Mazzucato mit der Notwendigkeit, die Definition und Verfolgung des „Gemeinwohls“ innerhalb der Wirtschaft neu zu fokussieren, insbesondere im Kontext globaler Herausforderungen wie der Green Transition. Sie kritisiert bestehende ökonomische Rahmenwerke, die staatliche Eingriffe eher als korrigierend denn als proaktiv betrachten, und schlägt ein Rahmenwerk vor, das sich auf Marktgestaltung und die Schaffung von Public Value konzentriert. Unter Rückgriff auf Erkenntnisse der politischen Philosophie betont Mazzucato in der Studie den relationalen und reziproken Charakter des Gemeinwohls. Der vorgeschlagene Rahmen umfasst fünf Schlüsselprinzipien: Zweck und Ausrichtung, Partizipation und Teilhabe, kollektives Lernen und Wissensaustausch, Zugang für alle und Teilhabe am Nutzen sowie Transparenz und Rechenschaftspflicht. Das Papier gibt einen Überblick über die Diskussionen zum Gemeinwohl in der politischen Philosophie und vergleicht diese mit bestehenden ökonomischen Konzepten. Es zeigt, dass eine Rückbesinnung auf Ziele, die kollektiv als „gut“ angesehen werden, entscheidend ist, um wirtschaftliche Aktivitäten auf gemeinsame Ziele auszurichten, in Zeiten, in denen kollektives Handeln dringend erforderlich ist.
Moderne Industriepolitik und die WTO
Von Chad Bown
Dieses Papier gibt einen Überblick über Industriepolitik im Kontext der Welthandelsorganisation (WTO). Ausgehend von der Befürchtung, dass die aktuellen industriepolitischen Maßnahmen die Kooperation im Welthandelssystem gefährden könnten, wird zunächst der historische ökonomische Rahmen skizziert, der Industriepolitik mit dem zugrundeliegenden Marktversagen in Verbindung bringt. Die Studie untersucht vier Schlüsselfaktoren, die erklären, wie sich moderne von traditioneller Industriepolitik entscheidet und warum sie für das Handelssystem so wichtig geworden ist. Diese Faktoren umfassen China, die Widerstandsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit von Lieferketten und den Klimawandel. Das Papier hebt vorhandene Evidenz, ungelöste Fragen und mögliche Richtungen für die zukünftige wirtschaftswissenschaftliche Forschung hervor und zielt darauf ab, politische Entscheidungsträger in ihren Bemühungen zu unterstützen, die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Handels- und Industriepolitik wiederherzustellen.