NEUES LEITMOTIV

Die New Paradigm Papers des Monats Juli

Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.

VON

MAREN BUCHHOLTZ

VERÖFFENTLICHT

31. JULI 2024

LESEDAUER

5 MIN.

Local Decline and Populism

Thiemo Fetzer, Jacob Edenhofer, Prashant Garg

Stimmen Bürger in vernachlässigten Regionen tendenziell eher für rechtspopulistische Parteien als anderswo? Diese neue Studie deutet auf Basis empirischer Auswertungen für Großbritannien darauf hin. Als Merkmal des lokalen Niedergangs wird der Leerstand in Einkaufsstraßen in England und Wales zwischen 2009 und 2019 erfasst. In dieser Zeit ist die Unterstützung für die rechtspopulistische UKIP in jenen Gemeinden besonders gestiegen, in denen sich die Lebensverhältnisse der Bürger durch den wirtschaftlichen Verfall ihrer Gemeinden verschlechtert hat. Das gilt besonders für den Nordosten Englands. Mittels des Leerstand-Indikators finden die Autoren eine statistisch signifikante und über verschiedene Modellspezifikationen hinweg robuste Beziehung zwischen dem lokalen Niedergang und der Unterstützung für die UKIP. Gibt es eine lokale wirtschaftliche Notlage, scheint dies die Neigung, populistische Parteien zu wählen, stark zu befördern.

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Carbon Prices and Inflation in a World of Shocks

Isabella M. Weber, Jan-Erik Thie, Jesus Lara Jauregui, Lucas Teixeira 

Wird die Inflation in Zukunft allein deshalb höher ausfallen, weil es durch Klimawandel und Klimapolitik immer wieder zu Preisschüben kommen wird? Isabella Weber und ihre Kollegen haben klimainduzierte Inflationsrisiken für einzelne Sektoren der deutschen Wirtschaft anhand eines Input-Output-Modells berechnet. Dabei gehen sie davon aus, dass es sowohl durch Klimaschocks als auch durch geopolitische Spannungen immer wieder zu einer ‚Shockflation‘ wie nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine kommt. Die Bepreisung von CO2 dürfte ebenfalls die Inflation eher verstärken (‚Carbonflation‘). Der Großteil der Preissteigerungen betreffe Güter des alltäglichen Bedarfs wie Grundnahrungsmittel, Energie und Transport. Beide Risiken sollten durch geeignete Politikinstrumente wie grüne Industriepolitik abgefedert werden. Außerdem schlagen die Autoren vor, neue Ansätze, wie etwa Preisbremsen, zur Verhinderung und Eindämmung von Preisspitzen in Sektoren zu entwickeln, die für die systemweite Preisstabilität entscheidend sind.

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The Welfare Costs of Job Loss and Decarbonization: Evidence from Germany’s Coal Phaseout

Luke Haywood, Markus Janser, Nicolas Koch

Müssen die Klimaziele abgeschwächt werden, um nicht unnötig Arbeitsplätze etwa in den fossilen Industrien zu riskieren? Die Studie begegnet dieser Sorge, indem sie neue empirische Evidenz dafür liefert, dass Wohlfahrtsverluste auf dem Weg zur Klimaneutralität durch geeignete Arbeitsmarktmaßnahmen vermieden werden können. Mittels der Erwerbsbiografien im deutschen Kohlebergbau der vergangenen vier Jahrzehnte berechnen die Autoren die wirtschaftlichen Effekte verschiedener Arbeitsmarktpolitiken. Zentrales Ergebnis: ein mittels befristeter Entgeltsicherung unterstützter Berufswechsel kann sowohl für die ehemaligen Bergbauregionen als auch für das Klima eine gute Lösung sein.

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Do Disinflation Policies Ravage Central Bank Finances?

Theodore Humann, Kris Mitchener, Eric Monnet

Im Zuge der jüngsten Inflationskrise ab 2022 wurde oft der historische Vergleich zum Ölpreisschock der 1970er Jahre gezogen. Erstmals stellt nun eine empirische Analyse die Zentralbankbilanzen der zehn wichtigsten Volkswirtschaften in beiden Inflationsperioden gegenüber und ermittelt dabei markante Unterschiede. In den frühen 1980er Jahren (‘Volcker-Schock’) stiegen die Zentralbankgewinne, auch weil die Erträge aus dem Kreditgeschäft durch die damaligen Zinserhöhungen zunahmen. In der jüngsten Krise verbuchen wichtige Zentralbanken wie die US Federal Reserve oder die Bank of England dagegen hohe Verluste. Dies führen die Autoren zum einen darauf zurück, dass die Notenbanken die enormen Reserven verzinsen mussten, die Banken in der Krise bei ihnen gehalten haben. Zum anderen haben die Währungshüter zur Stabilisierung der Finanzmärkte umfangreich Anleihen gekauft. Die Kombination aus diesen beiden Effekten mache die heutige Situation der Zentralbanken einzigartig und nicht direkt mit der damaligen Situation vergleichbar, so die Autoren.

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Beyond Neoliberalism and Neo-illiberalism – Economic Policies and Performance for Sustainable Democracy 

Markus Gabriel, Anna Katsman, Thomas Liess, William Milberg

Diese kürzlich von The New Institute herausgegebene Essay-Sammlung beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Gründen für das weltweite Erstarken autoritärer Politiker. Als Hauptursache des ‚Neo-Illiberalismus‘ identifiziert etwa Dani Rodrik darin das Verschwinden von guten Arbeitsplätzen im Zuge der ‚Hyperglobalization‘. Der Harvard-Ökonom empfiehlt Maßnahmen, um die Mittelschicht weltweit zu stärken. Für Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sollte sich ein ‚post-neoliberales‘ Paradigma durch gemeinsames Handeln (‚collective action‘) in allen Bereichen der Wirtschaftspolitik auszeichnen, sei es durch gewerkschaftliche Organisation, stärkeren Verbraucherschutz oder makroökonomische Rahmenbedingungen, die inklusives Wirtschaftswachstum fördern. Weitere Beiträge kommen von Moritz Schularick, Daniela Gabor und David Autor. Sie beschäftigen sich mit Fallstudien zur Wirtschaftspolitik in Großbritannien, den USA, Brasilien, Philippinen, Ungarn und Polen. Die Essays basieren auf den Beiträgen zu einer Konferenz an der New School for Social Research im März 2023.

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