GLOBALISIERUNG
Die neun Leben des Marktliberalismus: New Economy Short Cut mit Quinn Slobodian
In unserem letzten Short Cut haben wir mit dem Historiker Quinn Slobodian darüber gesprochen, wie Marktradikale von einer Welt ohne Demokratie träumen.
VON
DAVID KLÄFFLINGVERÖFFENTLICHT
30. NOVEMBER 2023LESEDAUER
4 MINEigentlich scheint die Blütezeit des marktliberalen Paradigmas vorbei zu sein. Ob es um die Bekämpfung der zunehmenden Ungleichheit oder die Ausgestaltung einer Industriepolitik geht, der Staat nimmt eine immer wichtigere Rolle ein. Allerdings stellte Quinn Slobodian in seinem Vortrag die provokante These auf, dass nicht nur Katzen neun Leben haben, sondern auch neoliberale Ideen, wie die überraschende Wahl des selbsternannten Anarchokapitalisten Javier Milei in Argentinien zeige.
Slobodians neues Buch darüber, wie Libertäre und Verfechter freier Märkte in den letzten Jahrzehnten versucht haben, den Staat einzuschränken, stellt drei vorherrschende Vorstellungen über die Ordnung nach dem Kalten Krieg in Frage. Erstens die supranationale These einer immer stärkeren vertikalen Integration, zweitens das Ende der Geschichte mit dem liberalen Kapitalismus als einzigem Akteur im Spiel und drittens das Telos der Nationalstaaten.
Die konventionelle Sichtweise dreht sich oft um eine Dichotomie: eine global organisierte Weltwirtschaft steht einer nationalstaatlich organisierten Politik entgegen. Diese Spannung zwischen (ökonomischer) Globalisierung und (politischem) Nationalismus gleicht einem Pendel, das zwischen zwei Extremen schwingt. Slobodian führt eine neue geografische Einheit ein, die nicht in diesen Dualismus passt – die sogenannte Zonen. Dabei handelt es sich um Wirtschaftsräume, in denen der Markt regiert und der Staat in den Hintergrund tritt. Beispiele dafür sind Chinas „Belt and Road Initiative“ oder die Einrichtung von Freihäfen entlang der britischen Küste mit dem Ziel, Miniatur-Hongkongs zu erschaffen. Diese Zonen, die sich über den gesamten Globus erstrecken, durchbrechen die konventionellen Grenzen der Nationalstaaten und lassen sie zerbrechen.
Max Krahé (Dezernat Zukunft) zieht in seinem Kommentar eine Parallele zwischen dem Dualismus zwischen Globalisierung und Nationalstaat und dem klassischen Spannungsfeld zwischen Demokratie und Kapitalismus. Während Demokratie eine Stimme für alle bedeutet, bedeutet Kapitalismus Wohlstand für Wenige. Eine Strategie der Eliten, ihren Reichtum gegen die Vielen zu sichern, ist nach Hirschman der „Exit“ aus dem Staat – entweder durch eine globalistische Strategie innerhalb der supranationalen kapitalistischen Infrastruktur oder durch die Schaffung der oben erwähnten Zonen.
"Die alte Welt stirbt, und die neue Welt kämpft darum, geboren zu werden. Jetzt ist die Zeit der Ungeheuer."
In Anlehnung an Gramscis Zitat stellt sich die Frage, ob Phänomene wie die Wahl von Javier Milei vorübergehende Erscheinungen innerhalb eines Paradigmenwechsels sein könnten. Schlägt das Pendel vom alten marktliberalen Paradigma in die Richtung souveräner demokratischer Staaten aus? Im Gegensatz zu dieser von Thomas Fricke hervorgehobenen Idee zeigte sich Slobodian in der Diskussion eher pessimistisch.
"Der Nationalstaat wird nicht als etwas internes gedacht, das im Wesentlichen eine Art Ausdruck der Wünsche der Menschen ist, die in ihm leben. Die Zonenlogik besagt, dass die Politik der Nation für ein externes Publikum bestimmt ist: Nicht die Menschen machen die Nation aus, sondern die Wünsche nach ausländischen Investitionen, Kreditwürdigkeit und Bonitätsbewertungen."