NEUES LEITMOTIV

Die New Paradigm Papers des Monats Dezember

Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.

VON

MAREN BUCHHOLTZ

VERÖFFENTLICHT

2. DEZEMBER 2022

LESEDAUER

5 MIN.

The three eras of global inequality, 1820-2020 with the focus on the past thirty years

Branko Milanovic

In diesem aktuellen Working Paper aktualisiert Branko Milanovic den berühmten „Elefanten-Graphen“ mit Daten des letzten Jahrzehnts (2008-2018). Dabei fällt auf, dass sich die globale Einkommensverteilung erheblich verändert hat. Seit der Finanzkrise hat das unterste Quintil der Verteilung im Durchschnitt am meisten vom Einkommenswachstum profitiert, was zum Teil auf das Wirtschaftswachstum im ländlichen China zurückzuführen ist. In Milanovics eigenen Worten stellen diese Daten „die größte Umschichtung der Einkommenspositionen zwischen dem Westen und China seit der industriellen Revolution“ dar.

The power of folk ideas in economic policy and the central bank–commercial bank analogy

Sebastian Diessner

„Volkstümliche“ (populäre, fachfremde) Vorstellungen von der Wirtschaft scheinen einen deutlich größeren Einfluss zu haben als die faktenbasierte Politikberatung. Falsche Analogien – z.B. die Vergleiche von Staatshaushalten und Privathaushalten – verfangen im öffentlichen Diskurs und bei politischen Entscheidungsträgern langfristig wegen ihrer scheinbaren Plausibilität allzu oft.  Diese Studie untersucht die Macht der geldpolitischen Zerrbilder. In Interviews mit aktuellen und ehemaligen EZB-Mitarbeitern zeigt Diessner auf, dass die mächtige Analogie zwischen Zentralbanken und Geschäftsbanken selbst auf diejenigen mit der meisten Expertise wirkt.

" (...) obwohl die europäischen Zentralbanker sich der theoretischen Irrelevanz des Bilanzkapitals bewusst sind, legen sie in der Praxis dennoch Wert darauf, um nicht dem angenommenen gesunden Menschenverstand der Öffentlichkeit zu widersprechen, dass anhaltende Verluste und negatives Kapital unerwünscht sind."

Wage-Price Spirals: What is the Historical Evidence?

Jorge Alvarez ; John C Bluedorn ; Niels-Jakob H Hansen ; Youyou Huang ; Evgenia Pugacheva ; Alexandre Sollaci

Die Rückkehr der Inflation und damit verbundene hohe Tarifabschlüsse haben die Sorgen vor der Lohn-Preis-Spirale geschürt. Die Hypothese besagt, dass die von Gewerkschaften bei steigender Inflation ausgehandelten Lohnsteigerungen zu einer höheren Nachfrage führen, die wiederum die Inflation befeuert. Daher tendieren viele Ökonomen dazu, von Gewerkschaften in Inflationszeiten Lohnzurückhaltung einzufordern. Eine neue Studie des IWF zeigt anhand einer weltweiten Datenerhebung für die letzten 60 Jahre, dass dieser Mechanismus äußerst selten auftritt. Somit scheint die empirische Evidenz der Lohn-Preis-Spirale nicht ausreichend belegt.

Net zero transition plans. A supervisory playbook for prudential authorities

Simon Dikau, Nick Robins, Agnieszka Smoleńska, Jens van ’t Klooster and Ulrich Volz

Bisher waren die Verpflichtungen des Finanzsektors zur Berücksichtigung von klima- und umweltbezogenen Risiken weitgehend freiwillig und wurden durch marktgesteuerte Initiativen wie ESG und CSR geprägt. Die Autoren dieses aktuellen Berichts argumentieren, dass die Aufsichtsbehörden die „Net-Zero-Pläne“ von Unternehmen und Investoren genauer überprüfen sollten. In ihrem „Supervisory Playbook“ plädieren die Autoren für eine obligatorische Offenlegung der Unternehmen und obligatorische aufsichtsrechtliche „Net-Zero-Pläne“, die insbesondere die Risiken einer Fehlanpassung an die Klimaziele analysieren. Internationale Gremien wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), das Financial Stability Board (FSB) und das Network for Greening the Financial System (NGFS) können hierbei nach Einschätzung der Autoren eine wichtige Rolle spielen.

Europe´s fiscal framework – The People´s View?

Frank van Lerven, Dominic Caddick, Sebastian Mang and Ludovic Suttor-Sorel

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen werden in ganz Europa erhebliche staatliche Investitionen nötig sein. Nach Auffassung der Autoren erfordert dies eine grundlegende Reform der europäischen Fiskalregeln, die derzeit überprüft werden. In ihrem Bericht zeigen die Autoren die Schattenseiten der Sparmaßnahmen im Zuge der Eurokrise auf und weisen darauf hin, dass seitdem die europäischen Haushalte durchschnittlich pro Jahr um die 3.000 Euro ärmer geworden sind.

 

„Sparmaßnahmen und übermäßig starre Haushaltsregeln waren letztlich eine politische Entscheidung und keine wirtschaftliche Notwendigkeit.“
van Lerven et al.

In einer Befragung mit etwa 5.000 Bürger*innen in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland und Italien gaben zwei Drittel an, dass sie sich von der Europäischen Union Fiskalregeln wünschen, die mehr staatliche Investitionen in Bildung, Beschäftigung und in die Gesundheitsversorgung ermöglichen.

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