EUROPA

Was soll auf die Maastricht-Regeln folgen? Short Cut mit J. Zettelmeyer und A. Truger

Seit über zwei Jahren sind die EU-Schuldenregeln ausgesetzt, die in den Augen vieler Kritiker ohnehin schon lange nicht mehr wirksam waren. Über die jüngsten Reformvorschläge der EU-Kommission und des Sachverständigenrats haben wir mit Jeromin Zettelmeyer und Achim Truger gesprochen.

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FORUM NEW ECONOMY

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7. DEZEMBER 2022

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Seit zwei Jahren sind die Schulden-Regeln der EU ausgesetzt, nach Urteil vieler Kritiker in Deutschland haben die Kriterien ohnehin schon lange nicht mehr gewirkt. Wie also könnten bessere Regeln aussehen? Dazu hat die EU-Kommission Anfang November einen Vorschlag gemacht, ebenso wie der deutsche Sachverständigenrat. Ist die Lösung, dass die Länder künftig einen individuellen mehrjährigen Schuldenabbauplan mit der Kommission vereinbaren? Was brächte es, öffentliche Zukunftsinvestitionen künftig sehr viel expliziter zu bevorzugen und von den Schuldenkriterien auszunehmen, wie es die deutschen Sachverständigen vorschlagen?

 

Darüber haben wir am letzten Freitag in unserem New Economy Short-Cut mit dem neuen Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel Jeromin Zettelmeyer und dem „Wirtschaftsweisen“ Achim Truger am 02. Dezember um 16 Uhr via Zoom diskutiert.

 

Der Vorschlag der EU-Kommission

1. Die EU-Kommission nimmt eine DSA-basierte Klassifizierung des Schuldenrisikos vor.
2. Länder mit hohem und mäßigem Risiko müssen einen Referenzanpassungspfad mit einer Nettoausgabenobergrenze (ohne Zinszahlungen und konjunkturelle Ausgaben) einreichen, so dass sie nach 7 oder 4 Jahren (je nach öffentlichen Investitionen und Reformen) ein Primärdefizit von weniger als 3 % aufweisen.
3. Das Land schlägt einen mittelfristigen fiskalisch-strukturellen Plan vor (als mögliche Alternative zum Plan der Kommission).
4. Wenn es keine Einigung zwischen der Kommission und dem Mitgliedstaat gibt, wird der Plan der Kommission durchgesetzt.

Zettelmeyer begann die Diskussion mit einer Darstellung seiner Sicht auf das Thema. Nachdem er die Schwierigkeit betont hatte, eine politisch durchsetzbare Verbesserung zu finden, begann er mit einer Zusammenfassung des Status quo ex-ante (bis 2021). Zunächst skizzierte er die vorgebrachten Kritikpunkte: wirtschaftliche Ineffizienz der Regeln, da sie auf fehleranfälligen prozyklischen Anpassungen beruhen, Unfreundlichkeit gegenüber öffentlichen Investitionen und Nichteinhaltung durch die EU-Mitgliedstaaten. Politisch gebe es eine Spaltung in einen nördlichen, ’sparsamen‘ Block von Ländern und einen südlichen Block, der mehr Flexibilität für Anpassungen fordere.

Diese Spaltung scheint sich im letzten Jahr abgeschwächt zu haben – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Zettelmeyer hat die Gemeinsamkeiten in vier Punkten zusammengefasst:

    1. Gewährleistung der Schuldentragfähigkeit auf „effektivere und effizientere Weise“
    2. Andere finanzpolitische Ziele sind ebenfalls wichtig: Stabilisierung und öffentliche Investitionen (mit einem möglichen Zielkonflikt)
    3. Unparteilichkeit: bilaterale Abkommen zwischen der EU-Kommission und den Staaten sind nicht akzeptabel (zu großer Ermessensspielraum für die Kommission und Vorteil für größere Staaten)
    4. Bessere Umsetzung der Steuervorschriften, z. B. durch mehr nationale Eigenverantwortung für die Vorschriften

Laut Zetelmeyer erfüllt der EU-Vorschlag, der sich auf eine auf der Schuldentragfähigkeitsanalyse (DSA) basierende Klassifizierung des Schuldenrisikos stützt, die Forderung nach einer effizienteren Regelung. Er hat jedoch Nachteile in Bezug auf die Ausgewogenheit, da er der Kommission einen großen Ermessensspielraum einräumt. Zumindest ist sie aber wesentlich transparenter.

"Die Kommission zwingt sich selbst zur Transparenz. Es ist jetzt keine Verhandlung im Hinterzimmer mehr, sondern eine im Vorderzimmer."
Jeromin Zettelmeyer

Als mögliche Lösung für das Problem des übermäßigen Ermessensspielraums und der zu geringen nationalen Eigenverantwortung könnten unabhängige nationale Finanzinstitutionen bei der Entwicklung der Referenzpfade helfen. Darüber hinaus könnte eine detailliertere Spezifikation der Regel dazu beitragen, den Ermessensspielraum zu verringern und die Ausgewogenheit zu erhöhen.

Achim Truger warf die Frage der demokratischen Legitimität auf, mit der sich unabhängige fiskalische Institutionen konfrontiert sähen, und argumentierte daher, dass solche Institutionen nur mit analytischen Aufgaben und nicht mit politischen Entscheidungen befasst sein sollten. Darüber hinaus betonte er die Bedeutung öffentlicher Investitionen als Sonderfall der Staatsausgaben, die keiner Fiskalregel unterliegen sollten. Zettelmeyer wies darauf hin, dass die Kommission in der Frage der Investitionen einen differenzierten Standpunkt vertrete, da sie den mit den Ausgaben verbundenen Zielkonflikt ausdrücklich einbeziehe: eine negative Auswirkung auf die Verschuldung, aber eine positive Auswirkung auf das Wachstum, da sie sich in der Zukunft amortisiere.

Die gesamte Diskussion als Re-Live

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