NEUES LEITMOTIV
Die New Paradigm Papers des Monats November
Einmal im Monat präsentiert das Forum New Economy eine Handvoll ausgewählter Forschungsarbeiten, die den Weg zu einem neuen Wirtschaftsparadigma weisen.
VON
MAREN BUCHHOLTZ & THOMAS FRICKEVERÖFFENTLICHT
2. DEZEMBER 2024LESEDAUER
5 MIN.The Effects of “Buy American”: Electric Vehicles and the Inflation Reduction Act
Hunt Allcott, Reigner Kane, Max Maydanchik, Joseph S. Shapiro, Felix Tintelno
Mittels neuer Daten zu Fahrzeugpreisen und Kaufentscheidungen betrachten die Autoren die Wohlfahrtseffekte der jüngsten massiven Subventionen für Elektrofahrzeuge in den USA. Als wesentlicher Bestandteil des Inflation Reduction Act (IRA) wurden ab 2022 Steuergutschriften von bis zu 7.500 US-Dollar beim Kauf neuer, in Nordamerika hergestellter E-Autos gewährt. Die vorläufigen Ergebnisse des Working Papers der UC Berkeley zeigen, dass diese Subventionen den Umstieg auf E-Autos spürbar gefördert haben. Im Vergleich zu den Steuergutschriften, die vor dem IRA galten, erhöhten die IRA-Gutschriften den Absatz von E-Autos um 90.000 Stück pro Jahr. Insgesamt berechnen die Autoren einen positiven Wohlfahrtseffekt: Für jeden US-Dollar an staatlichen Ausgaben wurden 1,87 USD an positiven Effekten für die Wirtschaft und Umwelt ausgelöst. Allerdings heben sie auch hervor, dass drei Viertel der Subventionen an Verbraucher gingen, die ohnehin ein Elektrofahrzeug gekauft hätten. Außerdem kritisieren die Autoren, dass mit der Subvention auch energie- und materialintensive Luxusautos gefördert wurden. Daher sehen sie in der Ausgestaltung des IRA noch Verbesserungspotential und empfehlen unter anderem eine gezieltere Förderung von energieeffizienten KfZ-Modellen.
Industrial Policy in the Global Semiconductor Sector
Pinelopi K. Goldberg, Réka Juhász, Nathan J. Lane, Giulia Lo Forte, Jeff Thurk
Wegen ihrer zentralen Bedeutung für die nationale Sicherheit spielen Halbleiter in der industriepolitischen Strategie vieler Staaten eine wichtige Rolle. So versucht auch die Bundesregierung mit viel Geld, Hersteller von Halbleitern nach Deutschland zu holen. Welchen Effekt aber haben diese Bemühungen auf die Entwicklung der Industrie? Eine Forschergruppe vergleicht in einem neuen Papier die industriepolitischen Maßnahmen weltweit. Die Autoren und Autorinnen zeigen dabei, dass staatliches Handeln in der Vergangenheit in vielen Fällen die treibende Kraft bei der anfänglichen Entwicklung der Halbleiterindustrie gewesen ist. Ob in den USA, Taiwan, Südkorea oder Japan: in fast allen Ländern mit einer bedeutenden Halbleiter-Branche wurde diese in den 2010er Jahren staatlich unterstützt – mit jährlich etwa 1,5 Milliarden US-Dollar (durchschnittlich pro Land im Zeitraum 2010 bis 2022). Gleichzeitig zeige sich, dass die Subventionen allein noch kein Erfolgsgarant waren. Zusätzlich brauchte es grenzüberschreitenden Wissensaustausch. So seien etwa taiwanesische und südkoreanische Chiphersteller wegen der engeren Zusammenarbeit mit den USA und dem Zugang zu US-Technologien erfolgreicher gewesen als chinesische. Dies ist aus Sicht der Autoren der entscheidende Faktor dafür, dass Chinas Hersteller trotz der umfangreichen staatlichen Förderung nicht zu Technologieführern aufgestiegen sind.
Minimum Wages in the 21st Century
Arindrajit Dube & Attila S. Lindner
Seit viele Länder Anfang des 21. Jahrhunderts wieder Mindestlöhne eingeführt haben, ist die langjährige Fundamentalkritik orthodoxer Ökonomen und Ökonominnen an solchen gesetzlichen Festlegungen leiser geworden. Dazu haben auch die empirischen Erkenntnisse von Nobelpreisträger David Card beigetragen, der gezeigt hat, dass solche Mindestlöhne ein Machtungleichgewicht bei schlechter bezahlter Arbeit ausgleichen. Arindraijit Dube und Attila Lindner fassen in ihrem Paper jetzt die jüngsten Erkenntnis dazu zusammen, wie sich die Mindestlöhne tatsächlich auf die Arbeitsmärkte im Niedriglohnbereich ausgewirkt haben. Danach widerlegt die Praxis jene neoklassische Annahme, wonach die Beschäftigung nach Einführung oder Erhöhung eines Mindestlohns sinkt. Dies erklären die Autoren unter anderem damit, dass Mindestlöhne dazu beitragen, dass Beschäftigte länger in ihren Jobs bleiben, und es für die Betriebe daher weniger Fluktuation und Einarbeitungszeiten gebe. Das steigere die Produktivität und verhindert, dass die Unternehmen höhere Arbeitskosten an die Konsumenten weitergeben. Außerdem zeigen die internationalen Erfahrungen, dass höhere Mindestlöhne tendenziell die Lohnungleichheit in der unteren Hälfte der Lohnverteilung verringern. Laut einer aktuellen Studie für Deutschland geht die Hälfte des jüngsten Rückgangs der Lohnungleichheit hierzulande auf die Einführung des Mindestlohns zurück.
Fiscal Consolidation And Its Growth Effects In Euro Area Countries
Philipp Heimberger
Mit den neuen EU-Fiskalregeln, die seit April 2024 gelten, werden in einigen europäischen Ländern erhebliche Sparmaßnahmen nötig. Basierend auf einer Analyse der Wirkung von Haushaltskonsolidierungen seit Anfang der 1990er Jahre warnt der Wiener Ökonom Philipp Heimberger in diesem Paper vor einem solchen Sparkurs. Weil das Wirtschaftswachstum durch die Konsolidierung gebremst werde, ergäben sich in der Folge wiederum auch negative Auswirkungen auf die Staatsfinanzen. Mittels Simulationen projiziert der Autor, dass die Schuldenquoten daher zwischen 2025 und 2028 in der Eurozone auch nicht so stark sinken werden, wie von der EU-Kommission erwartet. Die Brüsseler Behörde unterschätze die negativen Wachstumseffekte der Konsolidierung. Der Autor stützt sich unter anderem auf eine empirische Analyse des Internationalen Währungsfonds (WEO 2023), die zeige, dass Haushaltskonsolidierung in Industrieländern nicht automatisch zum gewünschten Schuldenabbau führe, sondern nur, wenn bestimmte Bedingungen (wie etwa ein günstiges Wirtschaftsumfeld und ein angemessener Mix aus Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen) erfüllt seien. Diese Effekte diskutierte Heimberger auch in unserem New Economy Short Cut von Mai 2023 mit IWF-Ökonom Adrian Peralta-Alva (Re-live hier).
The Economics of Water. Valuing the Hydrological Cycle as a Global Common Good
Mariana Mazzucato, Tharman Shanmugaratnam, Ngozi Okonjo-Iweala, Johan Rockström
Neben dem Klimawandel und dem Biodiversitätsverlust ist die Wasserknappheit eines der zentralen ökologischen Probleme unserer Zeit. In ihrem Bericht führt die Global Commission on the Economics of Water aus, dass der Wert der Wasserkreisläufe und ihrer Bestandteile (Wälder u.a.) ökonomisch bisher nicht ausreichend erfasst ist. Durch fortschreitende Abholzung und Wasserverschmutzung werden aber nicht nur die Wasserkreisläufe, sondern auch die Wirtschaftskreisläufe in Zukunft stark beeinträchtigt, so die Autoren, zu denen namhafte Forscher wie Mariana Mazzucato und Johan Rockström zählen.
Nach der Studie könnte so weltweit bis 2050 ein Verlust in Höhe von 8 % des Bruttoinlandsprodukts zusammenkommen. Außerdem würde die Hälfte der weltweiten Lebensmittelproduktion gefährdet. Bereits jetzt leiden um die drei Milliarden Menschen unter unzureichendem Zugang zu Trinkwasser. Mit zunehmender Erderwärmung werden immer mehr Menschen mit den Folgen der Wasserknappheit konfrontiert. Die Autoren fordern daher eine „Wasserökonomie”, in der Preise, Regulierung, Subventionen und andere Anreize so koordiniert werden, dass eine effizientere, gerechtere und nachhaltigere Wassernutzung gewährleistet ist. Unter anderem schlägt die Kommission eine Preisgestaltung vor, die die Übernutzung durch bestimmte Industrien reduzieren und die kostenlose Bereitstellung den Trinkwasserzugang in unterversorgten Gebieten sicherstellen soll. All das kann nach Urteil von Mazzucato nur durch ein Umdenken in der Ökonomie gelingen – im Sinne einer Wirtschaftspolitik, die nicht nur auf Marktversagen reagiert, sondern die Wirtschaft proaktiv im Sinne des Gemeinwohls gestaltet.