NEUES LEITMOTIV

Wenn der Kapitalismus sich selber schlägt

Forum New Economy Newsletter

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

2. OKTOBER 2023

LESEDAUER

3 MIN

Die Geschichte hat etwas Tragisches. Als vor fast 34 Jahren die Mauer fiel, bekam jenes Leitmotiv weltweit seinen Turbo, das seit den frühen 1980er-Jahren überall das Versprechen von den heilbringenden Märkten verkündete. Danach wurde noch mehr liberalisiert, gab es an Finanzmärkten neue Wunderwelten. Und China sollte gleich mitmachen – über den Betritt zur Welthandelsorganisation. Womit auch das menschengrößte aller Länder den wirtschaftlichen Liberalismus versetzt bekam – und darüber demokratisch werden sollte.

Es gibt inzwischen etliche Evidenz, dass der Unmut, der heute in westlichen Ländern um sich greift, im Kern von jenem Ohnmachts-Gefühl genährt wird, der nicht unmaßgeblich durch diese „Hyperglobalisierung“ (Dani Rodrik) verursacht ist. Donald Trump siegte 2016 maßgeblich in den Regionen, die vom China-Schock getroffen wurden. Für den Brexit stimmten entscheidend die Leute in den ehemaligen nordenglischen Industrieregionen.

Es ist auch kein Zufall, dass die AfD heute dort ihre größten Erfolge hat, wo es nach dem Mauerfall die heftigsten Umbrüche – und Kontrollverluste gab. Dort wurden ganze Industrien fallengelassen, wie das von der Treuhand in zeitgemäß wirtschaftsliberaler Konsequenz damals praktiziert wurde, weil der Markt das schon richten würde – was bis heute nachwirkt, weil es das Schicksal ganzer Familien und zweier Generationen teils verheerend prägte.

Die Ironie der Geschichte sei, schrieb kürzlich FT-Kolumnist Gideon Rachman, dass China, anders als von den Marktliberalen einst gedacht, nicht demokratischer geworden ist – sein wirtschaftlicher Erfolg aber dazu beigetragen hat, dass es in den einst als Vorbild daherkommenden westlichen Demokratien heute überall Populisten gibt, die an der Demokratie kratzen. Und dass in den USA nicht nur Donald Trump, sondern auch Joe Biden jetzt auf Schutz und Industriepolitik setzen: das eindrucksvolle Ende der „Free-trade“-Ära.

Wenn die Ohnmacht der Hyperliberalisierung, die vor drei Jahrzehnten loszog, ein maßgeblicher Grund dafür ist, dass die liberalen Demokratien heute so kriseln, ist die Aufgabe 34 Jahre nach dem Mauerfall vor allem: den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie und ihre Politiker wieder Kontrolle über ihr eigenes Schicksal bekommen. Was für das spricht, was US-Präsident Joe Biden gerade versucht: über massive staatliche Hilfen die Abhängigkeit von China (und anderen) zu lösen – und gezielt dafür zu sorgen, dass wieder Industrien entstehen und in eine klimaneutrale Wirtschaft investiert wird.

Ob so etwas hilft, Unmut abzubauen, hat Robert Gold vom Kieler Institut für Weltwirtschaft zu ermitteln versucht: indem er systematisch untersucht hat, inwieweit die EU-Regionalpolitik in den begünstigten Regionen dazu geführt hat, dass Populisten dort weniger gut abschnitten. Die Ergebnisse stellt er vor – in unserem nächsten New Economy Short Cut am 19. Oktober ab 16 Uhr 30. Anmelden hier.

Von da an werden wir bis ins kommende Jahr einen Schwerpunkt genau auf diese Fragen legen – und ob das, was bereits als Bidenomics gehandelt wird, die Antwort auf jene Welle von Populismus ist, die drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall überall wirkt. Und ob das am Ende reicht, um Donald Trump im November 2024 zu stoppen.

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

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