NEUES LEITMOTIV

Wenn Konservative den Glauben an die Märkte verlieren

Ein neues ökonomisches Leitmotiv für Konservative

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

18. SEPTEMBER 2023

LESEDAUER

2 MIN

Ist neues Nachdenken über Markt und Staat eine Sache, die nur Linke und Progressive machen und machen sollten? Nimmt man zum Maßstab, was der eine oder andere konservative Ökonomen kundtut, drängt sich die Vermutung auf. Zumal es nach Jahrzehnten naiven Glaubens an die Märkte – logisch – um ein Zurechtrücken in die andere Richtung geht. Trotzdem ist es natürlich unsinnig anzunehmen, dass der Ersatz für das offenbar gescheiterte marktliberale Paradigma einer ganzen Gesellschaft nur die Sache einer politischen Haltung ist.

Darauf lässt auch die Diagnose schließen, die kürzlich der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher in unserem New Economy Short Cut dargelegt hat – und wonach einer der Hauptgründe für den Niedergang moderat konservativer Parteien darin liegt, dass sie sich vom wirtschaftsliberalen Dogma haben mitziehen lassen, obwohl das in vieler Hinsicht gar nicht so gut mit konservativen Werten wie Stabilität oder nationaler Souveränität vereinbar ist. Was heißt: dass gerade moderat Konservative eine Alternative zu einem naiv marktliberalen Paradigma brauchen. Nur eben eine konservative.

Dass so eine Neuorientierung in den USA schon einsetzt, hat diese Woche Rana Foroohar in der Financial Times aufgeschrieben. Bei den Republikanern gebe es zunehmend Leute, die in den Exzessen der Märkte einen moralischen Verfall sehen. Die Republikaner nehmen Abschied von der Idee des Trickle down. Es gehe ihnen de facto auch darum, so Rana, zu einer weniger extremen Form des Kapitalismus zurückzukehren, wie es ihn – oft unter konservativen Regierungen – vor ein paar Jahrzehnten gab.

Anlass gibt es genug: wenn es darum geht, das geo-politisch naive deutsche Exportmodell neu zu definieren – wie Shahin Vallée in einer in Kürze erscheinenden Studie für uns beschreibt – trifft das auch einen konservativen Wert, das Land souverän zu halten, die Nation nicht übermäßig abhängig werden zu lassen. Wenn es darum geht, exzessive Ungleichheit bei den Vermögen im Land abzubauen, ist das auch ein Stück Wiederherstellung von Leistungsgerechtigkeit, also eines weiteren konservativen Werts.

Oder anders gesagt: wenn es gesellschaftlich dringend einer Neuorientierung bedarf, gilt das nicht nur für das eine oder andere Lager, sondern für alle. Sonst wär’s ja kein gesellschaftliches Paradigma, das Spaltung wieder abbaut.

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

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