NEUES LEITMOTIV

Von Ampel-Austerität und Ökonomen, die Wutbürger ignorieren

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

19. DEZEMBER 2023

LESEDAUER

4 MIN

Wenn Ökonomen über richtige oder falsche Haushaltspolitik streiten, geht es wie in diesen Tagen in aller Regel darum, welche wirtschaftlichen Effekte es hat, Ausgaben zu kürzen oder Steuern wie Abgaben zu erhöhen – ob und wie restriktiv der Kurs wirkt. Und ob etwa das, was die Ampel gerade zur Einhaltung der Schuldenbremse beschlossen hat, zu tieferer Rezession führt, wie der Sachverständige Achim Truger und das Institut der deutschen Wirtschaft fürchten – oder nicht.

Das ist wichtig. Mindestens so wichtig könnte in diesen Zeiten sein, was in den üblichen Ökonomie-Modellen als Dimension gar nicht vorkommt: wie sehr so eine Politik auf Unmut und Demokratie-Zweifel der Menschen wirkt – also auf das, was auch den Höhenflug der AfD mitbewirkt hat (der nicht zufällig just mit Einsetzen der Rekordinflation 2022 begann). Dass Austerität heftige Folgen für die Stabilität von Demokratien haben kann, ist empirisch gut belegt – ob in Studien des Historikers Christopher Meissner zum Aufstieg der Nazis (besonders in Regionen, die von Brünings Austerität betroffen waren) oder in den Auswertungen von Thiemo Fetzer zur Erklärung des Brexit (für den besonders dort gestimmt wurde, wo es 2010 heftig Austerität gab).

Wieso Austerität so wirkt, lässt sich erahnen: jedes Mal geht es darum, dass Leute auf Lebensstandard verzichten müssen – ohne dass sie in aller Regel für die Ursachen der Kürzungen verantwortlich sind, im schlimmsten Fall sogar andere. Kaum etwas hat das Urvertrauen in das alte marktliberale Paradigma so erschüttert, wie die menschlich absurd wirkende Tatsache, dass nach der Finanzkrise plötzlich Milliarden für die Rettung der Banken da waren, wo kurz zuvor in Deutschland noch überall Sozialausgaben gekürzt wurden.

Dass die jüngsten Ampel-Beschlüsse eben solche Unmuts-Nebenwirkungen mit sich zu bringen drohen, zeigt sich schon daran, dass es keine zwei Stunden dauerte, bis die „Bild“-Zeitung nach Verkündung des höheren CO2-Preises titelte, jetzt würden Benzin und Heizen (wieder) teurer. Das sollte nicht nur für jene ein Warnsignal sein, die darauf setzen, das Klima durch möglichst rabiate CO2-Bepreisung zu retten – zumal die Erhöhung jetzt eben doch nicht durch Klimageld ausgeglichen wird, weil es ja sonst kein Geld sparen würde. Diese Art Austerität droht der AfD neue Wähler und Wählerinnen bringen.

Spätestens dann würde lohnen, zur Folgeschätzung von Fiskalpolitik nicht nur realwirtschaftliche Multiplikatoren zu ermitteln, sondern viel stärker auch darüber zu forschen, was solche Maßnahmen für die Stabilität des Landes im erweiterten Sinne bedeuten. Und dazu, was es bedeutet, einzelne Menschen sozusagen für Fehler in der Haushaltsführung oder übertriebenen Schuldenbremseneifer aufkommen zu lassen. Das funktioniert womöglich, wenn zuvor das ganze Land ordentlich geprasst und Speck angesetzt hat. Das funktioniert weniger, wenn einige, die dann zahlen sollen, ohnehin schon kaum über die Runden kommen.

Das ist zwar alles furchtbar unökonomisch, was Ökonomen gar nicht mögen und sich deshalb lieber enthalten – es hat nur am Ende doch auch realwirtschaftliche Folgen, wenn dann ein Brexit kommt, Trump gewählt wird oder eben die AfD weiter aufsteigt. Die Welt lässt sich, anders als es in den marktliberalen Zeiten des Primats der Wirtschaft lange postuliert wurde, eben doch nicht nur (hinreichend) durchs Ökonomische erklären – und retten.

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Wo wir gerade beim Aufarbeiten alter Ökonomie sind: Kommenden Mittwoch ist bei uns im New Economy Short Cut Simon Johnson zu Gast, der mit Daron Acemoglu ein großartiges Buch darüber geschrieben hat, wie Innovationen in der Geschichte passiert sind – viel weniger als Ergebnis von Marktprozessen und viel mehr als Folge politischen Willens. Noch so eine überholungsbedürftige Annahme aus der Epoche des dominanten Marktliberalismus, die es aufzuarbeiten gilt. Am 20. Dezember ab 16 Uhr – via Zoom und in Kooperation mit der OECD. Anmeldung hier.

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

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