UNGLEICHHEIT

Vom verdrängten Thema Ungleichheit zum Vermögens-Simulator

Es gibt in Deutschland Statistiken zu allem Möglichen - nur bei Einkommen und Vermögen sieht es schlecht aus. Das wollen wir ändern.

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

31. OKTOBER 2023

LESEDAUER

3 MIN

Es gibt in Deutschland Statistiken zu allem Möglichen – zum Verkauf von Schnittblumen oder den Preisen für Leichtmetalle. Zur Inflation wird en detail zu jedem Monat gleich zwei Mal berichtet. Kurios ist, dass es zu einem eigentlich ziemlich brisanten Thema so gut wie keine aktuellen und vollständigen Daten gibt: zur Verteilung von Einkommen und Vermögen. Was über das Ausmaß der Ungleichverteilung heute bekannt ist, haben Forscher und Forscherinnen oft erst im Laufe der vergangenen 20 Jahren hinzugeschätzt.

Wer nach den Gründen dafür sucht, stößt auf Indizien, die eins nahelegen: dass es politisch auch nicht gewollt war, mehr darüber zu wissen. Während in den USA und Großbritannien in den 1960er-Jahren wieder vermehrt zur Armut geforscht wurde, schien in Deutschland der Glaube an den „Wohlstand für alle“ tief zu sitzen, schreibt der Historiker Felix Römer. Wenn es überhaupt Statistiken zur Ungleichheit gab, kamen die lange Zeit von Forschern und Forscherinnen außerhalb Deutschlands, sagt Charlotte Bartels, eine der heute renommiertesten Ungleichheitsexperten des Landes. Und: mehrmals wurde der Wunsch, hier für amtliche Statistik zu sorgen, von der Politik abgelehnt.

Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß? Erst im Nachhinein sei statistisch bekannt geworden, so Römer, dass in Deutschland „schon in den 1970er Jahren die Einkommensanteile der oberen zehn Prozent über den europäischen Schnitt“ gestiegen seien, während der Anteil der unteren Hälfte fiel. Erst seit 2001 gibt es den Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der wiederum stark auf Armut fokussiert ist. Die Konzentration von Vermögen ist noch etwas anderes.

Viele Lücken sind durch die privaten Hinzuschätzungen etwa der Forscher und Forscherinnen des SOEP in den vergangenen Jahren geschlossen worden. Der Haken: damit fehlt nach wie vor die eine amtliche Statistik – was wiederum dazu führt, dass Ministerien davor zurückschrecken, Analysen darauf aufzubauen. Und es gibt auch so noch Lücken. Eine werden wir in zehn Tagen zu schließen versuchen: mit der Vorstellung eines Vermögens-Simulators für Deutschland, den wir zusammen mit Charlotte Bartels und Timm Bönke haben entwickeln lassen.

Mit dem interaktiven Tool lässt sich berechnen, welchen Effekt etwa eine Vermögen- oder Erbschaftsteuer auf die tatsächliche Verteilung der Vermögen in Deutschland über die kommenden Jahre hätte. Oder was es ändern würde, wenn stattdessen ein Startkapital für 20-Jährige verteilt würde. Und auch hier gilt: mit der amtlichen Statistik allein ließe sich das gar nicht ermitteln – ein Armutszeugnis für ein Land, das sonst alle möglichen Statistiken ermittelt.

Der Simulator wird auf einer Website präsentiert, auf der dann auch alles Mögliche zu finden ist, was (trotzdem) mittlerweile über die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen im Land bekannt ist. Aktueller Stand.

Beim Event am 09. und 10 November dabei: unter anderem der weltweit führende Ungleichheitsforscher Branko Milanovic, die Chefökonomin des Wirtschaftsministers, Elga Bartsch, der frühere CDU-Generalsekretär Mario Czaja und der ehemalige SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.

ZUM THEMA UNGLEICHHEIT

KNOWLEDGE BASE

Das Gefälle zwischen Arm und Reich scheint selbst in einem Land wie Deutschland zunehmend den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Um den Trend umzukehren, ist es wichtig, die wirklichen Ursachen des Auseinandergehens von Einkommen und Vermögen zu verstehen.

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