UNGLEICHHEIT

Vermögens-Simulator: Reichtumsgefälle in Deutschland nimmt weiter zu

Startkapital für Junge würde Vermögensverteilung am ehesten verändern – Vermögensteuer weniger wirksam - Neuer interaktiver Rechner ermöglicht erstmals Vergleich wichtiger Instrumente – Interaktives Tool auf neuer Website – Launch am Freitag

VON

FORUM NEW ECONOMY

VERÖFFENTLICHT

10. NOVEMBER 2023

Berlin, 09. November 2023. Die Konzentration der Vermögen an der Spitze der Reichsten wird in den kommenden Jahren ohne politisches Zutun noch einmal deutlich zunehmen. Simulations-Rechnungen zufolge würde der Anteil der reichsten zehn Prozent der Deutschen an den Gesamtvermögen von zuletzt knapp über 60 Prozent bis 2027 auf etwa 67 Prozent steigen. Das ergeben Schätzungen auf Basis eines neuen Vermögens-Simulators, den eine Wissenschaftlergruppe um Timm Bönke und Charlotte Bartels vom DIW Berlin zusammen mit dem Forum New Economy entwickelt haben.

Der Vermögens-Simulator, den das Forum New Economy am Freitag vorstellt, ermöglicht erstmals, die Effekte unterschiedlicher Maßnahmen auf die tatsächliche Verteilung der Vermögen in Deutschland zu ermitteln. Über den Rechner, der über eine Website interaktiv genutzt werden kann, lässt sich so auch besser abschätzen, ob und in welchem Maße Instrumente wie ein Startkapital oder eine Vermögen- oder Erbschaftsteuer diesen Trend stoppen könnten.

Der Simulation zufolge würde es die Verteilung der Vermögen am stärksten beeinflussen, wenn jedem 20-Jährigen ein Startkapital (Grunderbe) ausgezahlt würde. Das Geld dürfte dabei für bestimmte Zwecke wie Altersvorsorge oder eine Ausbildung genutzt werden. Ab einer Auszahlung von je 20.000 Euro läge der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung am Gesamtvermögen nach zehn Jahren bereits spürbar höher, als es ohne die Auszahlung der Fall wäre – allerdings bliebe der Prozentanteil mit 3 Prozent immer noch relativ gering. Der Anteil der reichsten 10 Prozent läge ab einem Startkapital von 60.000 Euro mit 61 Prozent nennenswert niedriger als ohne Zutun. Bei einem Startkapital von 100.000 Euro ergäbe sich sogar eine Verminderung auf 57 Prozent – statt des angelegten Anstiegs auf 67 Prozent. Der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung würde um vier Prozentpunkte höher ausfallen, als es sonst der Fall wäre. Ein Startkapital von 10.000 Euro würde den Staat jährlich durchschnittlich gut 8,5 Milliarden Euro kosten. Würde jedem 20-Jährigen ein Kapital von 100.000 Euro zur Vorsorge, Ausbildung oder Erwerb von Immobilienvermögen zur Verfügung gestellt, wären es jährlich gut 85 Milliarden Euro.

Eine Vermögensteuer würde dem Simulator zufolge zwar zusätzliche Einnahmen generieren. Ein Steuersatz von ein oder zwei Prozent würde den Anstieg der Ungleichheit bei den Vermögen über zehn Jahre aber nicht spürbar bremsen. Ab einem Satz von 2 Prozent nähme der Anteil der Reichsten zwar leicht ab, am Anteil der unteren Hälfte ändert sich dadurch aber nichts. Bei einer Erhöhung der Erbschaftsteuer nach derzeitigem Recht ergäben sich über die gesamte Spanne möglicher Steuersätze keine spürbaren Effekte auf die faktische Verteilung der Vermögen. Dies begründen die Wissenschaftler unter anderem damit, dass nur 30 Prozent der Deutschen im Laufe ihres Lebens überhaupt eine Erbschaft oder Schenkung bekommen. Nennenswerte Effekte ergäben sich zusätzlichen Test-Simulationen zufolge erst nach einem Zeitraum von 40 Jahren. Die Einnahmen lägen bei einem Satz von 30 Prozent bei jährlich 3,6 Milliarden Euro. Nicht berücksichtigt wurden in den Simulationen Effekte, die durch eine Abschaffung von Ausnahmen für Erbschaften von Unternehmensvermögen entstünden.

„Es hilft wenig, ein paar Leuten später im Leben etwas vom Erbe wegzunehmen, um Vermögensungleichheit abzubauen“, sagte Charlotte Bartels. „Gerade weil die Vermögen in Deutschland so stark konzentriert sind, lässt sich Ungleichheit nur dann spürbar reduzieren, wenn man denen, die nichts haben, beim Aufbau von Vermögen hilft“, so die Wissenschaftlerin.

Der Vermögens-Simulator des Forum New Economy wurde in einem mehrjährigen Projekt unter Konsultation führender Ungleichheitsexperten und -expertinnen unter Leitung von Timm Bönke und Charlotte Bartels entwickelt. Datengrundlage für das Mikro- Simulationsmodell sind die Ergebnisse der Umfragen unter Haushalten des Sozio- Oekonomischen Panels beim DIW Berlin. Das Projekt wurde von der Robert Bosch Stiftung gefördert.

„Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland hoch, zu hoch in den Augen vieler Bürger und Bürgerinnen“, sagte Ellen Ehmke, Senior Expertin Ungleichheit bei der Stiftung. „Doch welche Maßnahmen geeignet sind, Vermögensungleichheit zu reduzieren, ist auch für politische Entscheidungsträger:innen nicht einfach zu beantworten. Der Vermögens-Simulator liefert nun erste Antworten und damit neuen Stoff für die festgefahrene Debatte.“

Der Vermögens-Simulator des Forum New Economy wird am Freitag auf einer großen Veranstaltung vorgestellt und unter anderem von BMWK-Chefökonomin Elga Bartsch, CDU- Politiker Mario Czaja, dem früheren SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und dem früheren Linken-Abgeordneten Fabio de Masi diskutiert. Zeitgleich wird der Simulator als interaktives Tool auf der neuen Website des Forums zur Ungleichheit für alle nutzbar sein. In den nächsten Stufen des Projekts wird unter anderem ein Simulator entwickelt, mit dem User den Einfluss verschiedener Maßnahmen auf ihre eigene Position in der Vermögensverteilung schätzen können.

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