UNGLEICHHEIT
Die politische Dimension von Ungleichheit
Die Bekämpfung von Ungleichheit ist mehr ist als eine Frage der Gerechtigkeit. Denn eine ungleiche Verteilung von Vermögen geht mit Demokratiedefiziten und einem Akzeptanzschwund liberaler Demokratien einher.
VON
DAVID KLÄFFLINGVERÖFFENTLICHT
22. OKTOBER 2023LESEDAUER
6 MINIn der öffentlichen Debatte wird Ungleichheit oft als ethisches Problem behandelt. Ist es beispielsweise gerecht, dass das oberste Prozent ein Drittel des Vermögens auf sich vereint, während die untere Hälfte praktisch ohne Eigentum dasteht? Begründet werden die unterschiedlich ausfallenden Antworten dann je nach politischem Lager mit Meritokratie und Eigenverantwortung (ja), oder mit Gleichheit und Teilhabe (nein). Dabei wird jedoch eine zentrale politische Dimension des Problems ignoriert: Die Bekämpfung der Ungleichheit ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern essenziell für die Bewahrung der Demokratie.
Ein Grund dafür ist, dass ökonomische Ungleichheit auch politische Ungleichheit zur Folge hat. So belegen zahlreiche Studien, dass politische Entscheidungen zugunsten der sozial Bessergestellten verzerrt sind (siehe zum Beispiel Gilens 2012, Milanovic 2019, Gilens & Page 2020). Ein Großteil der Studien konzentriert sich dabei auf das politische System der USA, wo das Problem durch die Finanzierung von Wahlkämpfen durch private Spenden besonders gravierend ist. Dennoch ist die politische Einflussnahme einer ökonomischen Elite keineswegs ein reines US-amerikanisches Problem. So zeigen beispielsweise Elsässer et al. (2018), dass sich für Deutschland trotz institutioneller Unterschiede ein ähnliches Bild ergibt.
Wie Joe Stiglitz kürzlich in einem Meinungsartikel darlegte, ist die Kehrseite der ökonomischen Ungleichheit demnach die Erosion der Demokratie, indem sich politische Unterrepräsentation in den Wahlerfolgen von autoritären und rechtspopulistischen Kräften niederschlägt.
Obwohl es viele Erklärungen [für den zunehmenden Populismus] gibt, hebt sich eine davon besonders hervor: die zunehmende Ungleichheit. Ein Problem des modernen neoliberalen Kapitalismus, das auch in vielerlei Hinsicht mit der Aushöhlung der Demokratie in Verbindung gebracht werden kann. Wirtschaftliche Ungleichheit führt unweigerlich zu politischer Ungleichheit, wenn auch von Land zu Land in unterschiedlichem Maße. In einem Land wie den Vereinigten Staaten, in dem es praktisch keine Beschränkungen für Wahlkampfspenden gibt, hat sich "ein Bürger, eine Stimme" in "ein Dollar, eine Stimme" verwandelt.
Hinzu kommt, dass Disruptionen durch technologischen Wandel und Globalisierung nicht nur individuelle und regionale Ungleichheiten verstärken, sondern auch zu einer allgemeinen ökonomischen Verunsicherung beitragen, was einen fruchtbaren Nährboden für Populismus bildet (Gold 2022). Im Kontext des jüngsten Umfragehochs der AfD sind daher die Ergebnisse des jüngsten Disparitätenberichts der Friedrich-Ebert-Stiftung besonders relevant, die eine hohe regionale Vermögensungleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland belegen.
Die Unterschiede in den Vermögensübergängen sind erheblich, vor allem zwischen den ostdeutschen (ohne Berlin) und den süddeutschen Bundesländern sowie Hamburg. Es muss also befürchtet werden, dass diese sehr ungleiche Verteilung der Vermögensübergänge die zukünftigen individuellen wie räumlichen Ungleichheiten in Deutschland, die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Armut sowie der Daseinsvorsorge noch verschärfen wird. Sie wird für das Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse in Deutschland zu einem erheblichen Problem. Die Aufholeffekte der vergangenen Jahre werden durch die ungleiche Verteilung von Einkommen und Armut gehemmt und die ungleiche Vermögensverteilung absehbar die weitere Annäherung der Regionen behindern.
Die Begrenzung von Ungleichheit sollte daher im Interesse aller demokratischen Parteien sein. Unabhängig von Fairnesserwägungen und jenseits der ideologischen Konfliktlinie zwischen Anhängern meritokratischer oder egalitärer Grundüberzeugungen.
Welche Maßnahmen am besten gegen die Vermögensungleichheit in Deutschland wirken würden ist auch das Thema unseres nächsten New Paradigm Workshops am 10. November in Berlin. Im Zentrum steht dabei die Vorstellung eines neuen interaktiven Simulationsrechners samt eigener Website, mit dem sich verschiedene Werkzeuge wie Vermögenssteuer oder Sozialerbe vergleichen lassen. Dabei sind unter anderem der weltweit führende Ungleichheitsforscher Branko Milanovic und die Chefökonomin beim Bundeswirtschaftsministerium, Elga Bartsch.