NEUES LEITMOTIV

Re-live: Robert Habeck zur Transformation der deutschen Wirtschaft

Wie können wir die deutsche Wirtschaft nach Corona und der Energiekrise umgestalten, um die kommenden Herausforderungen zu meistern? Robert Habeck, Mariana Mazzucato und Philip Steinberg gaben bei unserem XII New Paradigm Workshop mögliche Antworten.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

11. MAI 2023

LESEDAUER

5 MIN

Im Rahmen unseres XII. New Paradigm Workshops haben wir den Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck sowie die führende Ökonomin Mariana Mazzucato eingeladen, um Keynotes zu der Frage zu halten, wie die deutsche Wirtschaft inmitten und nach den sich überlagernden Polykrisen transformiert werden kann.

Robert Habeck erinnerte in seiner Rede daran, wie schwierig es ist, die gegenwärtige Situation in einem hochindustrialisierten Land wie Deutschland zu manövrieren. Seit seinem Amtsantritt werde die Wirtschaftspolitik von ständigen Krisen beherrscht – zunächst die Covid-Pandemie, dann der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die anschließende Energiekrise. All dies werde durch die globale Klimakrise noch überschattet.

Wichtig sei, so Habeck weiter, zu bedenken, dass all diese Krisen in breitere geopolitische Verschiebungen eingebettet seien.

"Klima- und Industriepolitik muss heute auch als Sicherheitspolitik verstanden werden. Umso wichtiger ist die Transformation des deutschen Wirtschaftsmodells."
Robert Habeck

Zwar habe sich Deutschland innerhalb weniger Monate von russischer Kohle, Öl und Gas entwöhnt und sei dennoch einer Rezession entgangen. Gleichzeitig machte Habeck deutlich, dass der Status quo der deutschen Wirtschaft als Modell, das auf der Verfügbarkeit von billiger Energie aufbaut, nicht fortbestehen könne. Als entscheidende Elemente für die Transformation nannte Habeck das Bekenntnis zu einem grünen sozialen Marktmodell, die Modernisierung der deutschen Energieversorgung sowie die industrielle Wertschöpfung.

 

"Wir sollten uns eine klimaneutrale und bezahlbare Energieversorgung und eine transformative Industriepolitik wie eine DNA-Doppelhelix vorstellen - die beiden Stränge sind eng miteinander verwoben."
Robert Habeck

Es müsse das Ziel sein, die erneuerbaren Energien massiv auszubauen, um die deutsche Industrie mit günstiger Energie zu versorgen, die Wasserstoffindustrie hochzufahren und konventionelle Kraftwerke zu ersetzen. Das BMWK schätzt, dass Deutschland in Zukunft in der Lage sein wird, 30 Prozent seines grünen Wasserstoffs im Inland zu produzieren, der Rest muss von einem diversifizierten Pool von Lieferanten importiert werden.

Habeck zufolge sollte sich Deutschland auf eine moderne Angebotspolitik konzentrieren. Anstatt die Deregulierungspolitik der 1980er Jahre zu wiederholen, sollte das Ziel darin bestehen, den Mangel an Fachkräften, Kapital und Technologie zu beheben und die Bürokratie abzubauen. Die Transformation werde nur gelingen, wenn sie sozialverträglich sei und die Menschen vom ersten Tag an gleiche Chancen erhielten, statt sich auf den Trickle-Down-Mythos zu verlassen.

In ihrer anschließenden Keynote appellierte die führende Wirtschaftswissenschaftlerin und Direktorin des Institute for Innovation and Public Purpose, Mariana Mazzucato, die Dichotomie zwischen öffentlichem und privatem Sektor aufzugeben und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, wie diese Beziehung in eine Symbiose umgewandelt werden kann, die in der Lage ist, die wichtigen aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. Dieser Prozess erfordere es, über das Abstrakte hinauszugehen und sich auf die Lehren zu konzentrieren, die man aus der Praxis ziehen könne.

Als Beispiel nannte Mazzucato die Weltraummission der NASA, die sehr klare Maßstäbe in Bezug auf ergebnis- statt kostenorientierte Beschaffung und erfolgreiche öffentlich-private Partnerschaften setzte. Anstatt sich darauf zu beschränken, Marktversagen zu beheben und Anreize für das Engagement privater Akteure zu schaffen, gestaltete die NASA ihre Verträge so um, dass sie von vornherein die Idee kollektiver Intelligenz und Governance verankerten. Dies verhinderte die Auslagerung wichtiger Aktivitäten und ermöglichte kontinuierliches Lernen und den Aufbau von Governance-Kapazitäten sowohl auf privater als auch auf öffentlicher Seite.

"Während bei früheren Umwälzungen die Risiken sozialisiert und die Gewinne privatisiert wurden, sollten in Zukunft sowohl die Risiken als auch die Gewinne kollektiv geteilt werden."
Mariana Mazzucato

Im letzten Teil der Session sprachen Philipp Steinberg und Mariana Mazzucato darüber, inwiefern eine solche transformative und missionsorientierte angebotsseitige Politik von der deutschen Regierung bereits umgesetzt wird.

Steinberg bekräftigte das Engagement für eine transformative angebotsseitige Ökonomie, die die Angebots- und Nachfrageseite zusammenführt, warnte aber angesichts der Komplexität der Transformation und der Herausforderungen vor zu hohen Erwartungen. Während die aktuellen Krisen mittel- und langfristig die grüne Transformation der Wirtschaft beschleunigen würden, seien angebotsseitige Faktoren wie Arbeitskräftemangel und fehlende Produktionskapazitäten wichtige Hemmfaktoren. Die Bildung und Stärkung von Allianzen zwischen öffentlichen und privaten Akteuren sei zwar wichtig, aber in erster Linie müssten dringend genügend Arbeitskräfte qualifiziert werden, die die konkreten Schritte der Transformation durchführen könnten. Er fügte hinzu, dass es zudem unabdinglich sei, agiler zu werden und sich nicht vom Paradigma der wirtschaftlichen Effizienz hemmen zu lassen.

Die Session wurde von der Leiterin des OECD-Centre Berlin Nicola Brandt moderiert.

Die Keynotes und Diskussion nachträglich anschauen

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