KLIMA

Energiekrise - Droht Deutschland die Deindustrialisierung?

Wie wird sich die globale Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auswirken? Janek Steitz und Michael Hüther diskutierten diese Frage auf unserem XII New Paradigm Workshop.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

12. MAI 2023

LESEDAUER

5 MIN

Die Diskussion im Re-live

Die weltweite Energiekrise und steigende Preise haben die deutschen Industrieregionen unter Druck gesetzt. Doch wie begründet sind die Befürchtungen, dass der Industriestandort Deutschland geschwächt wird und seine Wettbewerbsfähigkeit verliert? Wir haben Janek Steitz und Michael Hüther eingeladen, auf unserem XII New Paradigm Workshop Erkenntnisse aus einem laufenden Forschungsprojekt von Dezernat Zukunft und iw Consult zu diskutieren, das die Situation energieintensiver Industrien in Deutschland langfristig analysiert.

Die Studie modelliert die langfristigen Energiekosten für die industrielle Produktion in Deutschland (Wasserstoff und Strom) und vergleicht sie mit anderen Ländern mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien (z.B. Marokko, Chile, Norwegen, Spanien, USA). Laut Steitz kommt die Studie zu dem vorläufigen Ergebnis, dass Deutschland im Vergleich sowohl für die Jahre 2030 als auch 2045 sehr schlecht abschneidet. Selbst im optimalen Szenario werden Unternehmen in Deutschland mit einem Kostenaufschlag von 50 % für Strom und 20 % für Wasserstoff im Vergleich zu billigeren Ländern rechnen müssen.

Um herauszufinden, wie sich diese Unterschiede auf die Produktionskosten auswirken, modelliert die Studie von iw consult und Dezernat Zukunft vier Anwendungsfälle: Inlandsproduktion versus Auslagerung verschiedener Inputfaktoren bis hin zur vollständigen Produktionsverlagerung ins Ausland. Letzteres würde der Studie zufolge die höchsten Einsparungen bringen, während eine lokale Produktion mit importiertem Wasserstoff am teuersten wäre.

Für die Politik ergeben sich daraus folgende Konsequenzen: Vorgelagerte energieintensive Industrien könnten im Zuge des Übergangs an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Es wäre jedoch sehr kostspielig, sie alle durch Subventionen und andere Maßnahmen in Deutschland zu halten. Die gute Nachricht ist jedoch, dass es möglicherweise „Sweet Spots“ entlang der Wertschöpfungskette gibt, bei denen es sich lohnt, durch Subsidies o.ä. Maßnahmen eine Abwanderung zu verhindern. Dazu zählen weniger energieintensive, dafür arbeitsintensive nachgelagerte Industrien mit hoher Wertschöpfung.

Steht uns also eine breite Welle der Deindustrialisierung bevor?

Michael Hüther ergänzte die Diskussion, indem er darauf hinwies, dass neben den Energiekosten auch andere Faktoren wie die Verfügbarkeit von Infrastruktur, Clustereffekte, Regulierungen und die Demografie für die Zukunft des deutschen Industriesektors entscheidend sind.

"Wir haben ein dramatisches Schrumpfen des Beschäftigungspotenzials erlebt. Ob wir in der Lage sein werden, ein ausreichendes Beschäftigungsrückgrat zu schaffen, wird darüber entscheiden, ob die Transformation gelingt."
Michael Hüther

Er betonte auch, dass mit den energieintensiven Industrien als wichtige Grundlage für Beschäftigung, Innovation und Wertschöpfung viel auf dem Spiel stehe. Wenn die Regierung Formen der Subventionierung in Erwägung ziehe, so Hüther, sollten diese eher auf OpEx als auf CapEx ausgerichtet sein.

"Wir brauchen ein Zusammenspiel zwischen traditionellen angebotsseitigen Maßnahmen und einer neuen Art von OpEx-Orientierung. Und lassen Sie uns die Dekarbonisierung nicht vergessen. Das deutsche Gesetz ist klar, was die Zeitpläne angeht."
Michael Hüther

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Zu Hochzeiten des Glaubens an die Märkte galt als bestes Mittel gegen die Klimakrise, an den Märkten einen CO2-Preis aushandeln zu lassen. Heute ist zunehmend Konsens, dass das nur bedingt funktioniert - und es weit mehr braucht, als nur einen Preis.

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