KLIMA
Sind grüne Jobs gute Jobs?
Wir haben führende Experten und Expertinnen zu unserem New Paradigm Workshop eingeladen, um zu diskutieren, wie der Arbeitsmarkt in einer klimaneutralen Welt aussehen wird.
VON
SONJA HENNENVERÖFFENTLICHT
12. OKTOBER 2022LESEDAUER
5 MINWährend die Regierungen um die Umsetzung der Agenda für gute Arbeitsplätze ringen, stellt der notwendige Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ein weiteres Element der Unsicherheit in Bezug auf die Rückkehr der guten Arbeit dar. Wie werden sich politische Maßnahmen, die den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft vorantreiben, auf die Zusammensetzung des Arbeitsmarktes auswirken? Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich im Hinblick auf die Schaffung guter Arbeitsplätze während des Übergangs zu einer grünen Wirtschaft? Sind die neuen grünen Arbeitsplätze „gute Arbeitsplätze“? Und welche Art von Arbeitsmarktpolitik ist notwendig, um zu verhindern, dass der Übergang zu neuen Disruptionen führt und Menschen zurücklässt?
Wir haben Francesco Vona (Universität Mailand), Anna Valero (LSE), Christian Schneemann (IAB) und Samantha Smith (Just Transition Centre) eingeladen, die Antworten bei unserem XI New Paradigm Workshop zu diskutieren. Moderiert wurde die Session von Tom Krebs.
Um beurteilen zu können, ob es sich bei grünen Arbeitsplätzen um gute Arbeitsplätze handelt, ist eine Definition der Begriffe unabdingbar. Während der Pionier für gute Arbeit, Dani Rodrik, unter anderem in verschiedenen Papieren recht präzise dargelegt hat, wie gute Arbeit definiert werden könnte, gibt es keine eindeutige Definition für grüne Arbeit. Zwar stützen sich die meisten Forscher bei ihrer Analyse auf das Green-Economy-Programm des O*NET, doch bleibt das Konzept insgesamt schwer fassbar. Laut Vona, der die Podiumsdiskussion einleitete, haben sich immerhin zwei mögliche Kategorisierungen von grünen Arbeitsplätzen herauskristallisiert: Eine definiert die „Umweltfreundlichkeit“ eines Arbeitsplatzes anhand des direkten Umweltbelastungsanteils. Die andere betrachtet Arbeitsplätze dann als grün, wenn sie für die Transition unerlässlich sind. Ohne eine einheitliche Klassifizierung der Berufe, so Vona, sei es natürlich sehr viel schwieriger, die typischen Merkmale grüner Arbeitsplätze einzuschätzen und letztlich zu bestimmen, ob es sich um gute Arbeitsplätze handelt.
Was die derzeitige Forschung über die Merkmale grüner Arbeitsplätze sagen kann, ist laut Vona, dass sie in der Regel mehr Training am Arbeitsplatz erfordern, aber nicht zwingend ein höheres Bildungsniveau. Sie bringen auch einen (wenn auch geringen) Lohnaufschlag mit sich. Das Qualifikationsgefälle ist bei den grünen Arbeitsplätzen ausgeprägter, konzentriert sich aber auf Bereiche, die fortgeschrittene technologische Fähigkeiten erfordern.
Vona stellte dann eine Statistik vor, die den derzeitigen Anteil grüner Arbeitsplätze in Europa auf etwa 2 % schätzt. Noch wichtiger als die absolute Zahl der grünen Arbeitsplätze sei jedoch ihre räumliche Verteilung.
"Es ist wichtig, den Anteil grüner und brauner Arbeitsplätze in einem bestimmten Gebiet zu kennen, um zu wissen, welche Gebiete am dringendsten politische Maßnahmen für einen grünen Aufschwung und eine proaktive Regionalpolitik benötigen."
Braune Arbeitsplätze sind in der Regel räumlich stark konzentriert, so dass ganze Gebiete von externen Schocks und den Veränderungen im Rahmen der Net-Zero Transition bedroht sind. Gleichzeitig mache dies den Wandel umso notwendiger.
Um die Menschen davon zu überzeugen, an Umschulungsprogrammen teilzunehmen und von braunen auf grüne Arbeitsplätze umzusteigen, schlug Vona die Einführung eines mehrdimensionalen Indexes vor, mit dem sich messen lässt, wie gut ein Arbeitsplatz ist. Diese Dimensionen könnten von der Entlohnung über die Sicherheit am Arbeitsplatz bis hin zu Gesundheitsrisiken und Tarifverhandlungsrechten reichen.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Beantwortung der Frage, ob grüne Arbeitsplätze gute Arbeitsplätze sind, besteht darin, dass die Antwort je nach Land sehr unterschiedlich ausfallen kann. Anna Valero von der LSE präsentierte eine Zusammenfassung ihrer Forschungsarbeit über grüne gute Arbeitsplätze, die zu bestätigen scheint, dass zumindest im Vereinigten Königreich grünere Arbeitsplätze tendenziell gute Arbeitsplätze sind. Zwar gebe es einen großen Anteil an indirekten grünen Arbeitsplätzen, doch deuteten die Ergebnisse im Allgemeinen darauf hin, dass diese von besser ausgebildeten Arbeitnehmern und Arbeitnehmern im Haupterwerbsalter besetzt sind und höhere Löhne bieten.
Dies steht in leichtem Gegensatz zum breiteren europäischen Kontext, den Vona skizzierte. Valero wies jedoch darauf hin, dass bestimmte Gruppen im Bereich der grünen Arbeitsplätze unterrepräsentiert sind. Dies treffe vor allem Frauen und jüngere Arbeitnehmer zu, weshalb es umso wichtiger sei, bewusst dafür zu sorgen, dass die Möglichkeiten, die sich aus der Transition ergeben, für alle zugänglich sind. Sie erklärte auch, dass Menschen, die den Übergang von braunen zu grünen Arbeitsplätzen schaffen, in der Regel aus Berufen mit einem ähnlichen Qualifikationsprofil kommen. Dies scheint zu bestätigen, dass verschiedene Gruppen von Arbeitnehmenden Jobwechsel und Umschulungen deutlich leichter schaffen als andere.
"Net Zero kann gute Arbeitsplätze schaffen, aber sie müssen für alle zugänglich sein. Es ist unabdingbar, dass wir die Maßnahmen für gute Arbeit in eine breitere Wirtschaftsstrategie für integratives und nachhaltiges Wachstum einbetten."
Nach Ansicht von Valero seien daher die Ausbildung am Arbeitsplatz und gezielte, ortsspezifische Ansätze umso wichtiger. Derzeit gebe es eine drastische Unterinvestition in Umschulungsprogramme.
Mit Blick auf die deutsche Situation präsentierte Christian Schneemann Erkenntnisse aus dem IAB-Beschäftigungsbarometer, das Implikationen der grünen Transformation berücksichtigt. Er identifizierte die drei D’s – Dekarbonisierung, Demografie, Digitalisierung – als die zentralen Herausforderungen, denen die Arbeitsmarktpolitik Rechnung tragen müsse. Ab 2026 werde die Bevölkerung in Deutschland voraussichtlich schrumpfen, was die Suche nach qualifizierten Arbeitskräften noch schwieriger mache. Der IAB-Projektion zufolge wird in 87 von 140 Beschäftigungsgruppen die Nachfrage nach Arbeitskräften schneller wachsen als das Angebot.
Schneemann argumentierte, dass sich Arbeitsmarktökonomen und Politiker neben der Frage, ob grüne Arbeitsplätze gute Arbeitsplätze sein werden, auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob überhaupt genügend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden, um die grüne Transformation zu ermöglichen. Als mögliche Lösungen für das Arbeitskräftemangel-Dilemma nannte er Investitionen in Bildung, bessere Zuwanderungsverfahren und eine verstärkte Nutzung des inländischen Potenzials (z.B. indem man mehr Frauen in Vollzeitbeschäftigung bringe).
Obgleich die theoretische, akademische Bewertung der Situation wichtig ist, um ein besseres Verständnis für die bevorstehenden Herausforderungen zu entwickeln, werden die Auswirkungen und der Charakter der Transition in hohem Maße von der Arbeit vor Ort abhängen – Arbeitnehmer müssen davon überzeugt werden, sich an der Transition zu beteiligen und dürfen nicht einfach zurückgelassen zu werden.
Samantha Smith vom Just Transition Center, das mit Gewerkschaften zusammenarbeitet, um einen sozial gerechten Übergang zu gewährleisten, wies darauf hin, dass aus praktischer Sicht ein guter Arbeitsplatz erst dann ein guter Arbeitsplatz ist, wenn Menschen über grundlegende Rechte verfügen.
"Ohne das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, hat man nicht die Möglichkeit, für gute Arbeit zu kämpfen, sondern ist von einem angespannten Arbeitsmarkt abhängig."
Auch wenn die braunen Arbeitsplätze in Bezug auf Faktoren wie Gesundheit und Sicherheit oft zu wünschen übrig ließen, so böten sie laut Smith derzeit eine höhere Qualität in Bezug auf den gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Zudem seien sie in der Regel mit langfristigen Verträgen und somit Arbeitsplatzsicherheit verbunden. Viele der neuen Arbeitsplätze, z. B. in der Automobilindustrie, seien dagegen bei gewerkschaftsfeindlichen Arbeitgebern angesiedelt, was zu niedrigeren Löhnen, weniger Arbeitsplatzsicherheit usw. führe. Als Schlüsselfaktor für die Motivation der Menschen, von ihren alten zu neuen grünen Arbeitsplätzen zu wechseln, hob sie daher die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und das Recht auf Tarifverhandlungen hervor. Zudem sollten kostenlose Umschulungsmöglichkeiten in der Nähe des Wohnortes zur Verfügung stehen.
"Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft und ihre Arbeitsplätze, und sie interessieren sich für neue Technologien und Aufgaben. Aber sie sehen noch nicht, dass diese Arbeitsplätze in großem Umfang entstehen. Um sie von den neuen Arbeitsplätzen zu überzeugen, müssen sie organisiert sein und gut bezahlt werden. Dies ist eine Aufgabe für die politischen Entscheidungsträger."