NEUES LEITMOTIV
New Economy Short Cut Recap: Schuldenbremse 2.0 – Welche Reform bringt was?
Wie genau sollte die Schuldenbremse reformiert werden und bräuchte es nicht weitreichendere Reformen als die, die etwa der Sachverständigenrat jüngst vorgeschlagen hat? Darüber sprachen wir am 11.12. mit Achim Truger, Peter Bofinger, Katja Rietzler und Florian Schuster-Johnson.
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FORUM NEW ECONOMYVERÖFFENTLICHT
6. DEZEMBER 2024Die Tage der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form scheinen gezählt – eine Reform in der nächsten Legislaturperiode deutet sich an. Nur wie genau sollten die Regeln reformiert oder ergänzt werden? Und bräuchte es nicht weitreichendere Reformen als die, die etwa der Sachverständigenrat jüngst vorgeschlagen hat?
Darüber sprachen wir im New Economy Short Cut „Schuldenbremse 2.0 – Welche Reform bringt was?“ mit Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft, Peter Bofinger, Wirtschaftsprofessor an der Universität Würzburg, Katja Rietzler, Referentin für Steuer- und Finanzpolitik am IMK und Florian Schuster-Johnson, Senior Economist beim Dezernat Zukunft.
Jeder Schuldenregel liegt ein grundlegender Zielkonflikt zwischen Flexibilität und Verbindlichkeit zugrunde. Auf der einen Seite gibt es politökonomische Prozesse – z.B. aufgrund von Wahlzyklen – die Schulden anwachsen lassen, was für eine verbindliche Regel spricht (z.B. ein in der Verfassung verankertes numerisches Ziel). Auf der anderen Seite können sinnvolle kreditfinanzierte Staatsausgaben auch das Produktionspotenzial erhöhen, was für eine flexible Regel spricht.
Der Sachverständigenrat sprach sich im Januar 2024 für eine „stabilitätsorientierte Reform“ der Schuldenbremse aus und griff den Vorschlag erneut in seinem diesjährigen Jahresgutachten auf. Dabei geht es im Kern um drei Punkte:
- 1. Erhöhung der strukturellen Defizitgrenze (aktuell bei 0,35%), abhängig von der Schuldenstandsquote: 1% bei Schulden unter 60% des BIP, 0,5% bei Schulden zwischen 60% und 90% und 0,35% bei über 90%
- 2. Übergangsphase nach der Anwendung der Ausnahmeklausel
- 3. Institutionelle Mechanismen zur Priorisierung bestimmter zukunftsorientierter Ausgaben (Investitionen): z.B. Infrastrukturfonds mit Steuereinnahmen aus dem Verkehrssektor, Mindestausgabenquoten für Bildung/Verteidigung
Staatliche Ausgaben können einen positiven (oder auch einen negativen) Einfluss auf Wachstum haben: es ist wichtig wofür das Geld ausgegeben wird.
Der Sachverständigenrat argumentiert dabei, dass es nicht konsistent sei die Staatsverschuldung insgesamt aus politökonomischen Gründen zu begrenzen, und dabei die Art der Ausgaben außer Acht zu lassen. Hier bestünde die Gefahr, dass längerfristige Investitionen in Infrastruktur, Sicherheit oder Bildung gegenüber konsumtiven Ausgaben vernachlässigt würden. Katja Rietzler stimmte einer Stärkung von investiven Staatsausgaben zu.
"Wenn man investieren will, kann man das im bestimmten Umfang kreditfinanziert machen. Dann wird verhindert, dass für alle beliebigen Zwecke die Verschuldung ausgeweitet ist, ohne dass man dabei gegängelt ist, bei dem was man machen soll. Allerdings hat man gesehen, dass auch mit genügend Mitteln zu wenig finanziert wurde."
Florian Schuster-Johnson (Dezernat Zukunft) kritisierte, dass der Sachverständigenrat weiterhin an willkürlichen numerischen Grenzwerten in der Verfassung festhält. Besser wäre eine Orientierung an dem makroökonomischen Umfeld anhand von Schuldtragfähigkeitsindikatoren wie Zinsen und Wachstumspotenzial. Das Dezernat Zukunft schlägt daher vor, die konkrete Ausgestaltung mit numerischen Zielen nicht im Grundgesetz, sondern in einem normalen Gesetz zu regeln. Wie von Achim Truger eingeworfen, besteht ein Problem von Zinsausgaben als Indikator darin, dass sich das Zinsumfeld unvorhergesehen und schnell ändern kann, was zur Vorsicht mahnt.
"Ich würde mir wünschen, dass wir die Debatte nutzen, um nachhaltige Staatsfinanzen anders zu diskutieren. Weg von numerischen und hin zu dynamischen Begrenzungen von Schulden zu bewegen."
Peter Bofinger stimmte zu, dass eine flexible Regel grundsätzlich besser sei, betonte aber die Wichtigkeit eines Narrativs, um bestehender Skepsis in der deutschen Bevölkerung gegenüber einer Lockerung der Schuldenbremse zu begegnen. Als Erzählung könnte eine stabile Staatsschuldenquote herhalten, was bei dem Inflationsziel der EZB von 2% und einem angenommenen langfristigen realen Wachstum von 0,5% ein Defizit von 1,5% ermöglichen würde. Ein weiterer Vorteil wäre laut Bofinger die Kongruenz mit den europäischen Fiskalregeln (Deficit Resilience Safeguard bei 1,5%). Ein Nachteil ist, dass die Regel zu starr sein könnte, wenn sich das makroökonomische Umfeld ändert. Dann könnten die Schulden immer weiter steigen oder zu weit fallen.
"Die Geschichte wäre dann: Lasst uns doch eine Schuldenregel machen, die die Staatsschulden relativ zu Wirtschaftsleistung konstant hält. Aus ökonomischer Sicht, sind 60% willkürlich, aber es wäre ein Verkaufsargument. Wenn man das so verkauft, würde man enorm Spielraum schaffen."
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle Diskussionsteilnehmer eine explizite Verfassungsänderung der Schuldenbremse einer Umgehung mit erneuten Sondervermögen vorziehen würden. Diese Lösung wäre dauerhaft, flexibler und ehrlicher. Einigkeit herrschte weiterhin dabei, dass produktive und investive Staatsausgaben priorisiert werden sollten (in Abgrenzung zu konsumtiven Ausgaben, wie etwa Rentenversicherungszuschüsse). Meinungsverschiedenheiten gab es bei der Frage, ob ein numerisches Ziel weiterhin Teil der Verfassung sein sollte. Obwohl alle sich einig waren, dass aus ökonomischer Sicht eine dynamische und flexiblere Regel sinnvoller sei, wiesen Achim Truger und Peter Bofinger auf die Grenzen politischer Umsetzbarkeit hin.