DER STAAT

Rodrik und Kukies im Gespräch: Die Rückkehr der guten Jobs in schlechten Zeiten

Was können Regierungen tun, um die Schaffung guter Arbeitsplätze auch in Zeiten von Krieg und Inflation zu gewährleisten? Darüber diskutierten Dani Rodrik und der Chefökonom des Bundeskanzlers, Jörg Kukies, bei unserem New Paradigm Workshop.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

7. OKTOBER 2022

LESEDAUER

4 MIN

Nach Jahrzehnten des Booms prekärer Arbeitsplätze sowohl in den USA als auch in Deutschland haben Joe Biden und die Ampelkoalition es zu ihrer obersten Priorität gemacht, „gute Arbeitsplätze“ wiederherzustellen. Aufgrund der jüngsten geopolitischen Verwerfungen, der drohenden Rezession und der Inflation sind diese Fortschritte jedoch in Gefahr. Bei unserem XI New Paradigm Workshop haben wir den Vordenker für gute Arbeitsplätze und Harvard-Ökonomen Dani Rodrik eingeladen mit Jörg Kukies, dem Chefvolkswirt von Bundeskanzler Olaf Scholz und G7/G20-Sherpa, darüber zu diskutieren, was die Politik tun kann, um sicherzustellen, dass gute Arbeitsplätze auch in den aktuellen Krisenzeiten zurückkehren.

Zu Beginn seiner Rede betonte Rodrik, dass der Rückgang guter Arbeitsplätze seit den 1980er Jahren nicht nur ein Problem der Ungleichheit und der sozialen Ausgrenzung sei, sondern auch schwerwiegende Reibungen im sozialen Zusammenhalt verursache, die zum Aufstieg populistischer Bewegungen in ganz Europa und den USA geführt haben.

"Was auf unseren Arbeitsmärkten geschieht - die Polarisierung, die Schwächung der Tarifparteien, die niedrigen Löhne - ist im Grunde genommen mit dem Problem des Klimawandels vergleichbar. Während der Klimawandel die größte Bedrohung für unsere ökologische Umwelt darstellt, sind Schocks auf dem Arbeitsmarkt die größte Bedrohung für unsere soziale und politische Umwelt."
Dani Rodrik

Derzeit, so Rodrik, seien arbeitsmarktpolitische Maßnahmen meist nur ein Nebenprodukt anderer Maßnahmen. In den USA nehme die Politik an, dass Ziele wie die Verlagerung von Lieferketten oder die Bekämpfung des Klimawandels den Arbeitsmärkten zugute kommen und letztlich gute Arbeitsplätze schaffen werden. Ein solcher Nebeneffekt, so Rodrik, sei sehr wahrscheinlich aber nicht ausreichend, um das Ziel der flächendeckenden guten Arbeit zu erreichen. Vielmehr müsste ein produktiverer Ansatz in der Industriepolitik verfolgt werden, der speziell auf die Schaffung von guten Arbeitsplätzen abzielt und zusätzlich zu Tarifverhandlungen und höheren Löhnen umgesetzt wird.

"Wir brauchen eine spezifische Politik für gute Arbeitsplätze und nicht eine, die nur ein Nebenprodukt anderer Maßnahmen ist."
Dani Rodrik

Eine solche gute Beschäftigungspolitik, so Rodrik, sollte sich auf die Stärkung bestehender lokaler und regionaler Netzwerke, die Kombination von Arbeitskräfte- und Unternehmensentwicklung, die Mobilisierung und Befähigung lokaler sektorübergreifender Koalitionen und die Konzentration auf neue arbeitsfreundliche Technologien konzentrieren.

Diese Art der neuen Industriepolitik, so Rodrik, unterscheide sich von der traditionellen Art und Weise, Industriepolitik zu betreiben, die weitgehend von oben nach unten und über den Handel erfolgt sei. Nun gehe es darum, Industriepolitik neu auszurichten und sie stärker auf Dienstleistungen und kleine und mittlere Unternehmen zu konzentrieren. Auch müsse eine andere, aktivere Rolle für den öffentlichen Sektor vorgesehen werden.

In Übereinstimmung mit Rodriks Forderungen nach gezielten Good Jobs Maßnahmen, betonte Jörg Kukies, dass gute Arbeitsplätze ganz oben auf der politischen Agenda der deutschen Regierung stehen. Die Schaffung guter Arbeitsplätze sei nicht nur ein Nebeneffekt, sondern ein Kernelement des Politikpakets der deutschen Regierung. Dabei sind laut Kukies die beiden wesentlichen Elemente für die Schaffung guter Arbeitsplätze – neben der Qualifikation – eine gute Bezahlung und die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen sei diese Sicherheit gefährdet. Daher seien massive Unterstützungen für private Haushalte und Unternehmen notwendig.

"Um Arbeitsplätze zu schützen, müssen wir die industrielle Basis erhalten. Die Zahl der Arbeitsplätze, die aufgrund der steigenden Energiepreise gefährdet sind, ist extrem hoch. In diesem Sinne ist die Kontrolle der Energiepreise ein Kernelement der Agenda für gute Arbeit."
Jörg Kukies

Kukies betonte auch die hohe Wichtigkeit von Berufsbildungsprogrammen, die Bekämpfung des inflationsbedingten Kaufkraftverlustes und die Förderung der Migration zwischen den EU-Ländern, um den Fachkräftemangel zu beheben. Um die Agenda für gute Arbeitsplätze zu fördern, entwickeln die G7-Beschäftigungsminister derzeit einen gemeinsamen Aktionsplan für integrative Weiterbildung und einen Fahrplan für sichere und gesunde Arbeit.

"Die Notwendigkeit, Menschen zu qualifizieren, ist eines der größten Hemmnisse. Der schiere Umfang der Investitionen zur Erzeugung der 250 Gigawatt an Solaranlagen usw., die als Teil der Klimatransition geplant sind, wird massive Investitionen in Systeme, Sachanlagen und natürlich Menschen erfordern. Wir können den Übergang nur bewältigen, wenn wir massiv in die Qualifikation der Menschen investieren."
Jörg Kukies

In diesem Zusammenhang wies Kukies auch auf die wichtige Rolle hin, die die Gewerkschaften bei der Net-Zero Transition spielen können und müssen, sowie auf die Notwendigkeit erheblicher Investitionen im öffentlichen Sektor. Er fügte hinzu, dass im Hinblick auf die Agenda für gute Arbeitsplätze noch viel Fortschritt in Bezug auf die Balance zwischen den Geschlechtern geleistet werden müsse. Frauen seien von der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, unter anderem während der Pandemie, unverhältnismäßig stark betroffen.

Zum Abschluss der Diskussion stellte Rodrik fest, dass sich das allgemeine Bild der Wirtschaftspolitik unter Biden verändert habe. „Wenn man die Sprache von Biden mit der von Clinton vergleicht, dann hat sie sich in Bezug auf die Rolle der Industriepolitik, die Machtkonzentration, die Besteuerung, die Bewältigung des Klimawandels und die Agenda für gute Arbeitsplätze bemerkenswert verändert.“ Rodrik zufolge gebe es ein neues Verständnis dafür, dass die Probleme nicht einfach durch Marktkräfte gelöst werden können sondern eine stärkere kollektive Macht erforderlich sei.

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Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

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