NEUES LEITMOTIV

Newsletter: Gute Ökonomen, schlechte Ökonomen

Aus unserer Forum New Economy Newsletter Reihe.

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

23. FEBRUAR 2024

LESEDAUER

3 MIN

In Deutschland überdauert ein für das 21. Jahrhundert nach Christus bemerkenswert einfacher Umgang mit der Frage, was gute Ökonomie ist. Gut ist, was marktwirtschaftlich ist. Oder ordnungspolitisch rein. Wer (auch mal) staatliches Korrigieren befürwortet, ist dagegen staatsgläubig, also schlecht. So ist es in diesen Tagen wieder häufiger zu lesen, wenn offizielle oder inoffizielle Oppositionspolitiker wie Kommentatoren oder Vertreter von Wirtschaftsverbänden die Politik der Regierung und ihre Berater bewerten. Oder darüber befinden, welche der gerade streitenden Sachverständigen (die in Deutschland immer noch romantisch „Wirtschaftsweise“ heißen), jetzt gut (Grimm) oder nicht gut (alle anderen) sind. Erstaunlich.

Wenn etwas nach Stand von Forschung und Wissenschaft weise ist, und das nicht erst seit gestern, dann die Erkenntnis, dass es eben ganz und gar nicht so einfach ist. Dass Finanzmärkte eben nicht immer effizient reagieren, im Gegenteil, wie selbst Bundesbank-Chef Joachim Nagel im jüngsten Forum-Talk mit Moritz Schularick einräumte – was Bundesbankchefs als Gralshüter des Ordoliberalen früher nie gemacht hätten. Oder dass es das Klima nicht retten wird, nur auf den Markt zu hoffen. Und dass es ökonomisch vernünftig begründbar ist, Mindestlöhne einzuführen. Oder dass es nicht optimal ist, Gesundheitsleistungen „marktwirtschaftlich“ zu organisieren; einer gerade veröffentlichten Studie zufolge erhöht das sogar messbar die Zahl unnötiger Todesfälle. Um nur ein paar von etlichen mittlerweile gut erforschten Beispielen zu nennen. Moderne Ökonomie.

Umso befremdlicher wirkt, jede und jeden als per se gut zu bewerten, der oder die sich wie besagte Sachverständige oder andere für „marktwirtschaftliche“ Lösungen per se einsetzt. Ökonomie aus dem Märchenland (man soll nicht mit Namen spielen). Dass das nicht nur ein deutsches Phänomen ist, hat Nobelpreisträger Angus Deaton in seinem Buch „Economics in America“ eindrucksvoll kritisch dargelegt – und diese Woche bei uns im New Economy Short Cut noch einmal mit Christoph Schmidt, dem Chef des RWI-Instituts in Essen und früheren Mitglied im Sachverständigenrat (siehe oben), diskutiert – jenem Gremium, das einst vehement gegen den Mindestlohn war, und damit heftig daneben lag. Spannende Stunde – zum Nachsehen im Re-live hier.

Dafür sind auch die Probleme zu ernst. Es spricht weder viel dafür, dass mit ordoliberaler Prinzipientreue allein der Klimawandel zu stoppen ist – wenn nicht die Rollen von Markt und Staat nachjustiert werden. Noch hilft es, die freien Kräfte des Marktes zu bemühen, wenn diese Marktkräfte zu Desastern wie dem China-Schock in den USA beigetragen haben, die wiederum nach mittlerweile herrschender empirischer Evidenz entscheidend für den Sieg von Donald Trump 2016 waren.

Was genau gegen den zunehmenden Unmut und die drohenden neuen Wellen des Populismus helfen kann, werden wir in den kommenden Wochen und Monaten in den Fokus nehmen – auch und vor allem mit Blick auf die US-Wahlen im November, bei denen auch zur vorläufigen Wahl steht, ob sich das als Alternative und Rezept gegen den Unmut schon durchsetzt, was als „Bidenomics“ Form angenommen hat: eine Politik, die gezielt dort gute Jobs und Wirtschaftsleistung zu schaffen versucht, wo die meisten Menschen abgehängt wurden; und die versucht, viele der Schäden zu beheben, die durch allzu naiven Glauben an die Marktkräfte entstanden sind. Auch da hilft ja dann kein marktwirtschaftliches Dogma.

Zum Schwerpunkt unserer Arbeit wird dabei gehören, den Stand der Forschung zu den Ursachen für Populismus zusammenzutragen; ebenso wie dazu forschen zu lassen, inwieweit etwa Bidens IRA zum Abbau von Unmut beiträgt; oder die ersten Ergebnisse der aktuellen US-Klimapolitik via massiver Subventionen mit denen eines eher konventionellen – marktwirtschaftlichen – Setzens auf höhere CO2-Preise zu vergleichen. Um das alles auf einem großen Treffen im Mai zu diskutieren. Mehr dazu in Kürze.

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

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