DER STAAT
Die Auswirkungen von Sanktionen im Fall von Putins Russland
Robert Gold stellte beim X New Paradigm Workshop neue Forschungsergebnisse zu einer hochaktuellen Frage vor: Welche politischen Auswirkungen können wir von den Sanktionen gegen Russland erwarten?
VON
MAREN BUCHHOLTZVERÖFFENTLICHT
31. MAI 2022LESEDAUER
2 MIN.Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Sanktionen sind hinlänglich bekannt: Die Handelseinbußen durch Exportverbote für ausgewählte Waren und die freiwillige Einstellung der Handelsbeziehungen sowie die Beschränkungen im Finanzsektor treffen die russische Wirtschaft derzeit hart. Weniger klar ist, ob diese wirtschaftlichen Folgen zu einem demokratischen Russland führen werden, da empirische Untersuchungen über die politischen Auswirkungen der Sanktionen rar sind. Robert Gold (IfW Kiel) und Kollegen versuchen derzeit, die Forschung zu dieser Frage voranzutreiben. Erste Ergebnisse dieser Forschung präsentierte Robert Gold bei unserem X New Paradigm Workshop am 24. und 25 Mai in Berlin in einer Diskussionsrunde mit Klaus-Jürgen Gern und Erdal Yalcin.
Die empirische Analyse von Gold und seinen Kollegen konzentriert sich auf das Beispiel der vergangenen Sanktionen, die nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014 verhängt wurden. Der politische Effekt wird anhand der Wahlergebnisse für die Regierungspartei (‚Einiges Russland‘) bei vergangenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gemessen. Zwar ist die Messung der politischen Stimmung in einem Land mit diktatorischer Herrschaft eine erkennbar komplexe Aufgabe. Robert Gold erläuterte, dass sein statistisches Modell bestehende Unregelmäßigkeiten in den Daten berücksichtige und sicherstelle, dass die Variable, die die Auswirkungen der Sanktionen misst, nicht strukturell mit dem vermuteten Wahlbetrug korreliert sei. Die Analyse lege nahe, dass Sanktionen, die zu Handelsverlusten führen, mit einer höheren Unterstützung für die Regierungspartei verbunden sein könnten. Die Forschergruppe schlussfolgert aus dieser empirischen Analyse, dass die Sanktionen zumindest auf kurze Sicht offenbar nach hinten losgegangen seien.
In der anschließenden Diskussion über den Entwurf des Forschungspapiers erläuterte Klaus-Jürgen Gern (IfW Kiel), dass das Ausmaß der jüngsten Sanktionen wahrscheinlich zu einer erheblichen Schrumpfung in der Größenordnung von mindestens 10 Prozent des BIP in diesem Jahr und zu zukünftig noch anhaltenden Einbußen bei den Investitionen, dem privaten Konsum, etc. führen werde. Erdal Yalcin (HTWG Konstanz) hingegen warnte grundsätzlich vor dem Framing und wie dieses in der öffentlichen Debatte aufgefasst werden könnte. Er gab zu bedenken, dass man die nationalistische Reaktion der Wähler als „Visualisierung der Haltung einer ganzen Gesellschaft“ verstehen sollte, anstatt die Situation der Sanktionen als „Rückschlag“ zu beschreiben, was implizit den sanktionierten Ländern westliche Gesellschaftsnormen zuschreibe. Die Ergebnisse der Global Sanctions Data Base hätten gezeigt, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der internationalen Isolation in vielen sanktionierten Ländern eben nicht zu einem politischen Wandel geführt hätten. Daher dürfe man von Sanktionen gegen Russland grundsätzlich keine Demokratisierung des Landes erwarten.