KLIMA
Klimapolitik in der Krise: Short Cut ReLive mit Sven Giegold, Eric Lonergan, Isabella Wedl und Bernd Weber
Im neuen New Economy Short Cut diskutierten Expert:innen, warum CO₂-Preise erst wirken, wenn klimafreundliche Alternativen bereitstehen – und ob ein besseres Timing Europas Klimapolitik aus der Sackgasse führen kann.
VON
FORUM NEW ECONOMYVERÖFFENTLICHT
17. NOVEMBER 2025
Eigentlich sollten in einem Jahr die Kosten für klimaschädliches Autofahren und Wohnen drastisch steigen. So sah es die nächste Stufe des Emissionshandels in der EU vor. So sieht es auch die klassische Klimalehre vor, nach der Verhaltensänderung durch Kostendruck kommen muss. Der Haken: In der Realität schrecken Regierungen genau davor immer wieder zurück – so wie jetzt erneut, wo die EU die Einführung des ETS2 doch wieder verschoben hat. Dabei wachsen ohnehin die Zweifel am einst gepriesenen Ideal einer Klimapolitik über den Markt.
Was eine Alternative dazu sein könnte, hat das Forum in einer nun fertiggestellten Studie entwerfen lassen. Prinzip: Die CO2-Bepreisung sollte erst einsetzen, wenn die Voraussetzungen stimmen und die Menschen klimafreundliche Alternativen haben wie erschwingliche Elektro-Autos und genügend Ladestellen. Davor braucht es positive Anreize. Erst dann ergibt es Sinn, die Preise für schädliches Verhalten hochzutreiben, schreiben Eric Lonergan, Michael Grubb und Isabella Wedl in dem Papier.
Wäre das auch eine Vorlage für die EU – statt wie jetzt den Kostenschock nur vor sich herzuschieben? Darüber diskutierten wir in unserem jüngsten New Economy Short Cut:
Klimapolitik in der Krise – Hilft ein besseres Timing bei der CO2-Bepreisung?
Mit
Sven Giegold, Bündnis 90/Die Grünen
Eric Lonergan, Calibrate Partners London
Bernd Weber, Gründer und Geschäftsführer von EPICO
Isabella Wedl, Forum New Economy
Traditionelle Klimaökonomie, so eröffnete Eric Lonergan die Diskussion, konzentriere sich darauf externe Effekte durch Steuern oder Quoten zu internalisieren. Um jedoch die praktischen Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität zu bewältigen, müsse dieses ökonomische Paradigma erweitert werden. Dabei sei CO₂-Bepreisung der letzte Schritt in der Abfolge und erst einzuführen, wenn die Rahmenbedingungen dafür günstig sind.
Vorherige Schritte seien, die Kapitalkosten zu senken oder grüne Substitute bereitzustellen (z. B. Elektrofahrzeuge). Er schlug vor, Ersteres über niedrigere Zinssätze für erneuerbare Energien oder geringere Finanzierungskosten für grüne Investitionsprojekte zu erreichen. Letzteres wiederum könne Investitionen in öffentliche Infrastruktur erfordern, wie etwa öffentliche Ladestationen, oder die Unterstützung grüner Alternativen durch Ausnahmen von Einfuhrzöllen und Mehrwertsteuer.
Insgesamt argumentierte Lonergan, dass die Erzählung von Befürwortern der grünen Transformation lange Zeit gewesen sei, „die Steuern sind einfach nie hoch genug“. Er betonte jedoch, dass ein günstiges Umfeld mit niedrigen Kapitalkosten und Investitionen in grüne Substitute ein wichtiger erster Schritt in der Abfolge sein könnte, bevor die CO₂-Bepreisung eingeführt wird.
Bernd Weber bot eine alternative Perspektive, da er der CO₂-Bepreisung positiver gegenüberstand und sie nicht als letzten Schritt in der Sequenz betrachtete. Er erklärte, dass seit ihrer Einführung die Emissionen in den ETS1-Sektoren aufgrund der CO₂-Bepreisung um 50 % gesunken seien. Angesichts dieser Erfolge hält er es für sinnvoll, die CO₂-Bepreisung über das ETS2 (Heizen und Verkehr) auf weitere Sektoren auszuweiten.
Allerdings ergänzte er, dass nicht genug getan werde, um die Menschen auf die Folgen des ETS2 vorzubereiten. Er schlug vor, dass „front loading“, also das Vorziehen zukünftiger ETS2-Einnahmen, ein möglicher Ansatz sein könnte. Dies würde es Haushalten ermöglichen, mit den Auswirkungen des ETS2 umzugehen, ohne neue Schulden aufnehmen zu müssen. Insgesamt betonte er, dass das ETS2 nicht scheitern dürfe, da dies schwerwiegende Folgen für die Klimapolitik hätte.
Sven Giegold stimmte Bernd Weber zu und ergänzte seine Argumente um eine institutionelle Perspektive. Er sagte, dass es irreführend wäre, das ETS2 als Preisregulierungsinstrument zu bezeichnen, da seine Hauptleistung die Einführung eines CO₂-Deckels sei. Er argumentierte, dass das ETS1 in dieser Hinsicht bereits recht effizient gewesen sei. Zudem merkte er an, dass es aus politischer Sicht eine Herausforderung darstelle, eine Einigung über etwas so Bedeutendes wie das ETS2 zu erzielen. Daher sollten Befürworter der grünen Transformation diese Bemühungen nicht abwerten, indem sie andere langfristige Lösungen vorschlagen. Zwar stimme er zu, dass Sequenzierung ein wichtiges Instrument sein könne, doch könne man sowohl niedrige Kapitalkosten fördern als auch grüne Substitute einführen, ohne den Rahmen der CO₂-Bepreisung im ETS2 aufzugeben.