NEUES LEITMOTIV
New Economy Short Cut² im ReLive: Enzo Weber zur Arbeitsmarktpolitik und Bürgergeld
Welche Rolle spielt finanzieller Druck wirklich, wenn es darum geht, Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen – und was sagt die Forschung zum Fachkräftemangel? Darüber diskutierten wir im New Economy Short Cut² mit Enzo Weber und Anne Lauringson.
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FORUM NEW ECONOMYVERÖFFENTLICHT
22. SEPTEMBER 2025
In der Debatte um das Bürgergeld wird oft suggeriert, finanzielle Anreize oder Druck seien entscheidend, um Menschen zurück in Arbeit zu bringen. Die Diskussion im Rahmen des New Economy Short Cut² (eine Kooperation mit dem OECD Berlin Centre) mit OECD-Ökonomin Anne Lauringson und Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt ein differenzierteres Bild.
Thomas Fricke eröffnete mit Zahlen: Von den rund fünf Millionen Bürgergeldempfänger*innen sind etwa ein Drittel Kinder und ein weiteres Drittel nicht erwerbsfähig. Nur rund 30 Prozent zählen tatsächlich als arbeitslos. Der oft zitierte Typus des „Totalverweigerers“ sei eine sehr kleine Minderheit.
Anne Lauringson stellte Forschungsergebnisse der OECD vor. In vielen Mitgliedstaaten haben sich aktive Arbeitsmarktpolitiken (ALMPs) weiterentwickelt: Sie richten sich längst nicht mehr nur an klassische Arbeitslose, sondern auch an Menschen mit hohem Jobrisiko oder an Inaktive. Der Fokus liegt weniger auf „Aktivierung“ durch Druck, sondern stärker auf individueller Unterstützung. Erfolgreiche Ansätze kombinieren Beratung, Qualifizierung, Lohnzuschüsse oder Gründungsförderung und binden Arbeitgeber stärker ein. Besonders wichtig ist, Hürden wie mangelnde Bildung, Gesundheitsprobleme oder fehlende Kinderbetreuung in koordinierter Weise zu adressieren. Evaluationsstudien zeigen, dass personalisierte Betreuung, Training und Unterstützungsprogramme oft kosteneffizient sind und nachhaltige Integration fördern.
Enzo Weber ergänzte die deutsche Perspektive. Er verwies auf die wirtschaftliche Schwäche seit 2022, die den Arbeitsmarkteintritt von Bürgergeldbeziehenden deutlich erschwert habe. Neue Stellen seien auf einem Tiefstand, was vor allem Langzeitarbeitslosen die Chancen nehme. Zwar habe das Bürgergeld mit höheren Regelsätzen und weniger Sanktionen einen kleinen negativen Effekt auf Arbeitsaufnahmen, der weitaus größere Faktor sei jedoch die Konjunktur.
Sanktionen können Menschen zwar in Beschäftigung drängen, führen aber oft zu kurzfristigen, schlecht bezahlten Jobs und können Vertrauen zerstören. Entscheidend sei ein ausgewogener Ansatz: klare Regeln und Verbindlichkeit, aber ohne Überziehen. Zentral seien bessere Betreuungsschlüssel, mehr Qualifizierung (auch berufsbegleitend) und individuelle Unterstützung. Auffällig sei, dass trotz Ankündigungen bisher kaum mehr in Weiterbildung investiert werde.
Weber betonte die große Heterogenität: Die meisten Menschen im Bürgergeld haben ein oder mehrere Vermittlungshemmnisse, aber nur wenige sind „unvermittelbar“. Daher brauche es maßgeschneiderte Lösungen statt Schwarz-Weiß-Debatten. Gute Anreizsysteme, etwa ein durchgängiger Freibetrag von 30 Prozent beim Hinzuverdienst, könnten Hunderttausende Jobs zusätzlich ermöglichen. Wichtig sei zudem, Sozialleistungen transparenter und einfacher zu bündeln.
In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass die öffentliche Debatte häufig einseitig auf Missbrauchsfälle fokussiere, während die Forschung eine vielschichtigere Realität zeige. Ein erfolgreicher Ansatz müsse „alle Register ziehen“: Anreize, Unterstützung, Qualifizierung und verlässliche Regeln, flankiert von einer stabilen Wirtschaftspolitik. Nur so lasse sich Verfestigung in der Arbeitslosigkeit aufbrechen und das Bürgergeld als Instrument verstanden werden, das Chancen eröffnet statt Probleme schafft.