DER STAAT

Short Cut Highlights: Konzertierte Aktion - Die Lohn-Preis-Spirale verhindern?

Bundeskanzler Olaf Scholz hat angekündigt, in einer „Konzertierten Aktion“ Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammenzubringen, um über ein Vorgehen gegen die Inflation zu beraten. Kann eine solche Allianz eine Lohn-Preis-Spirale verhindern?

VON

MAREN BUCHHOLTZ

VERÖFFENTLICHT

27. JUNI 2022

LESEDAUER

2 MIN.

Die Inflation in Deutschland liegt auf Rekordniveau und Warnungen vor einer drohenden Lohn-Preis-Spirale werden immer lauter. Nun hat Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, in einer „Konzertierten Aktion“ Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammenzubringen, um über ein Vorgehen gehen die Inflation zu beraten. Ähnlich ging die Große Koalition Ende der 1960er-Jahre vor, um einen Ausweg aus der damaligen Wirtschaftskrise zu finden – mit durchwachsenem Erfolg. Verspricht eine Allianz zwischen Finanz- und Tarifpolitik diesmal mehr Erfolg? Können so die Belastungen verringert werden, ohne dass Deutschland in die Rezession rutscht? Und: welche Rolle spielt die Geldpolitik im Abstimmungsprozess?

Darüber haben wir in unserem New Economy Short Cut “Konzertierte Aktion – Die Lohn-Preis-Spirale verhindern?” mit IW-Direktor Michael Hüther und Anke Hassel (Kodirektorin des Jacques Delors Centre an der Hertie School) diskutiert.

 

Die Idee der „konzertierten Aktion“ gegen die Inflation

Michael Hüther leitete die Gesprächsrunde mit einer historischen Einordnung des Begriffs der „konzertierten Aktion“ ein. Die ursprüngliche Idee dazu wurde Mitte der 1960er vom damaligen Sachverständigenrat aufgebracht und vom Wirtschaftsminister Karl Schiller aufgenommen, auch aus Sorge vor einer Lohn-Preis-Spirale. Eine gemeinsame Koordinierung mit einer Gruppe von 20-30 Teilnehmern aus Regierung, Bundesbank, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden sollte dazu führen, dass Lohn-, Geld- und Finanzpolitik gemeinsam auf die Auslastung des Produktionspotentials hinarbeiten. Angesichts der großen makroökonomischen Herausforderungen und der vier anstehenden Transformationen (Digitalisierung, demographischer Wandel, Dekarbonisierung, Deglobalisierung) könnte eine solche Initiative nach seiner Einschätzung hilfreich sein, um die Stagflation abzuwenden.

 

Anschließend erläuterte Anke Hassel, dass der Misserfolg der damaligen „konzertierten Aktion“ in ihrer fehlenden Balance begründet war: die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften sei nicht durch vergleichbare Zugeständnisse von anderen Akteuren erwidert worden. Auch deshalb konnte das Verhandlungsformat dann kurze Zeit später, während der Ölpreisschocks Anfang der 1970er Jahre, als es dringlich gebraucht worden wäre, nicht wirken. Auch spätere Koordinierungsversuche in Deutschland wie etwa das „Bündnis für Arbeit“ seien insgesamt nicht sehr erfolgreich gewesen. Ähnliche Formate in einigen europäischen Staaten seien gleichwohl förderlich für den jeweiligen Beitrittsprozess zur Europäischen Union gewesen.

 

Die wichtigsten Takeaways

Nach Einschätzung von Hassel ist eine „konzertierte Aktion“ angesichts bestehender Formate des Bundeskanzleramts wie der „Allianz für Transformation“ nicht erforderlich, zumal diese die potenzielle Gefahr birgt, den Spielraum der Gewerkschaften für eine offensive Tarifpolitik einzuschränken. Weitere Initiativen, die einen engeren Austausch des BMF mit Ökonomen und Unternehmensvertretern fördern, seien grundsätzlich zu begrüßen. Hüther dagegen warb für die Idee einer besseren makroökonomischen Koordinierung. Nach seiner Einschätzung solle es nicht darum gehen, die Tarifautonomie in Frage zu stellen. Einmalzahlungen oder Besserungsscheine stellten gute Instrumente dar, um Haushalte, die aktuell besonders unter der Inflation litten, zu unterstützen. Beide Wissenschaftler waren sich einig, dass derzeit keine Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale bestehen. Sie befürworten auch eine tiefergehende Bestandsaufnahme der Ursachen der Inflation, zu der Wirtschaftsforschungsinstitute in jedem Fall beitragen können.

 

Die gesamte Diskussion als Re-live

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Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

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