NEUES LEITMOTIV

Gute Arbeit im Wandel

Wo steht Deutschland auf dem Weg zu "Good Jobs"? Und was muss noch getan werden? Mit Jutta Allmendinger, Sebastian Dullien, Simon Jäger und Miriam Rehm

VON

XHULIA LIKAJ

VERÖFFENTLICHT

18. OKTOBER 2022

LESEDAUER

4 MIN

Wie schaffen wir „Gute Arbeit“ in Deutschland neu? Sicherlich nicht entlang nationaler Grenzen, so Jutta Allmendinger (WZB Berlin) in ihrer Keynote bei unserem XI New Paradigm Workshop: Vielmehr müssen wir die Frage auf europäischer oder sogar globaler Ebene angehen. Und bevor wir uns mit dem Wie beschäftigen, sollten wir definieren, was ein „Guter Job“ heute ist. Ein guter Arbeitsplatz ist ein bewegliches Ziel, dessen Definitionskriterien sich im Laufe der Zeit ändern. Ein Beispiel dafür ist die Länge der Arbeitszeit: Vor einigen Jahren galt ein Arbeitsplatz mit einer vierzigstündigen Arbeitswoche als guter Arbeitsplatz, heute ist dies nicht mehr der Fall. Die individuellen Präferenzen hinsichtlich dessen, was einen guten Arbeitsplatz ausmacht, ändern sich, und dies sollte berücksichtigt werden, wenn wir uns die Zukunft der Arbeit vorstellen.

"Neue Arbeitsplätze können nicht national gefördert werden, wir müssen regional und global denken, geschlechts- und altersbedingte Diskriminierung bekämpfen und uns den Arbeitsplatz als ´melting pot` vorstellen."
Jutta Allmendinger (WZB Berlin)

Die folgenden Punkte sollten beachtet werden, wenn von „Good Jobs“ die Rede ist:

  • Die neue Vorstellung von Arbeit ist von Unvorhersehbarkeit geprägt: Während in der Vergangenheit Bildung und Ausbildung zu einer stabilen und statischen, lebenslangen Karriere führten, müssen junge Menschen heute damit rechnen, dass ihre berufliche Laufbahn mit großer Wahrscheinlichkeit abrupte Richtungswechsel und Umschulungen mit sich bringt. Das deutsche Berufsbildungssystem scheint sich nicht gut an den Wandel der Zeit angepasst zu haben und erweist sich als zu unflexibel. Um die Vorhersehbarkeit der Berufswege für die arbeitende Bevölkerung wiederherzustellen, sollten wir die Möglichkeit für Zweit- oder Zusatzausbildungen und Bildungsprogramme schaffen, die subventioniert werden.
  • Die Reichweite der Gewerkschaften hat abgenommen, auch aufgrund der Digitalisierung und einer wachsenden Plattformökonomie, die die Gewerkschaften nicht unter ihrem Dach vereinen konnten. Dieser Verlust darf jedoch nicht als gegeben hingenommen werden, und die Gewerkschaften müssen sich an die neue Form des Arbeitsmarktes anpassen.
  • Die Zahl der erwerbstätigen Armen nimmt zu, und die jüngste Erhöhung des Mindestlohns wird angesichts des derzeitigen Inflationsanstiegs nicht dazu beitragen, diesen Trend umzukehren. Es sind weitere Maßnahmen erforderlich, um einen fairen Lohn zu garantieren.
  • Während die Einkommensungleichheit nicht wesentlich zugenommen hat, ist die Vermögensungleichheit gestiegen. Wenn man also über „Good Jobs“ nachdenkt, muss man auch darüber nachdenken, wie man die Vermögensungleichheit verringern kann.
  • Wir betrachten Arbeit als einen Schmelztiegel von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Qualifikationsniveaus – physische Räume wie Büros dienen als Ort der Interaktion, aber dies geht durch die Digitalisierung, die Verbreitung von Plattformökonomien, Heimarbeit usw. verloren. Um gute Arbeitsplätze wiederherzustellen, muss auch der soziale Faktor zurückkehren und der urbane Raum als Ort der Sozialisierung gestaltet werden (z. B. durch die Einführung von Co-Working-Spaces).
  • Gleiche und faire Arbeit zwischen den Geschlechtern ist noch lange nicht erreicht, und wir können keine guten Arbeitsplätze anstreben, ohne diesen Punkt anzugehen. Wir sollten das geschlechtsspezifische Lohngefälle schließen und nicht durch einen Wettlauf nach unten bei den Löhnen.
  • Altersdiskriminierung bei der Einstellung ist immer noch sehr präsent und kann nicht Teil einer neuen Denkweise über Arbeitsplätze sein.

Sebastian Dullien (IMK Düsseldorf) fügt der Frage „Warum brauchen wir gute Arbeitsplätze?“ eine wirtschaftliche Dimension hinzu. Der wirtschaftliche Grund ist, dass angesichts der drei großen Herausforderungen, vor denen Deutschland in den nächsten zehn Jahren stehen wird, nämlich Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung, die Hinwendung zu guten Arbeitsplätzen auch ein höheres BIP, eine niedrigere Arbeitslosigkeit und eine geringere Staatsverschuldung bedeutet. Die Entwicklung hin zu guter Arbeit könnte zum Beispiel den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in den Sektoren beheben, die derzeit nicht gut bezahlt oder geschätzt werden (wie der Gesundheits- und Bildungssektor). Gute Arbeitsbedingungen bedeuten auch, dass einige Menschen bereit sind, später in den Ruhestand zu gehen und somit länger im Erwerbsleben zu bleiben, wodurch das Rentensystem entlastet wird.

Die jüngste Erhöhung des Mindestlohns ist sicherlich ein positives Zeichen für die Absicht, zur Schaffung von guten Arbeitsplätzen beizutragen, aber es ist leider auch wahr, dass die Lohnerhöhungen größtenteils durch die Inflation zunichte gemacht wurden. Das bedeutet, dass neu überlegt werden muss, welche nächsten Schritte notwendig sind, um gute Arbeitsplätze zu schaffen, da nun klar ist, dass diese Erhöhung keine ausreichende Wirkung haben wird.

Simon Jäger (IZA Bonn) betont, wie wichtig es ist, dass wir unsere Ressourcen auf Arbeitsmarktinstitutionen richten, die den technologischen Wandel in Richtung der Schaffung guter Arbeitsplätze lenken, anstatt diejenigen zu unterstützen, die einen immer größeren Niedriglohnsektor schaffen.

Dringend notwendig sei auch eine ehrliche Diskussion über die Vor- und Nachteile der Kurzarbeit, die im kommenden Winter wieder eine große Rolle spielen dürfte, so der IZA-Vorstandsvorsitzender. Kurzfristig sei sie zwar ein gutes Instrument zur Rettung von Arbeitsverhältnissen, aber wir sollten uns auch fragen, ob sie langfristig den Strukturwandel behindert.

Miriam Rehm (Universität Duisburg-Essen) bringt das Problem der Segmentierung der Arbeit in Deutschland wieder ins Spiel.  Eine Segmentierung, die durch Digitalisierung und Konzentration verschärft wurde und die sich durch den Klimanotstand noch weiter zu verschärfen droht. Die Institutionen des Arbeitsmarktes werden daher eine große Rolle bei der Reorganisation der Industriestruktur im Hinblick auf den Übergang zur Dekarbonisierung spielen.  Um zu guten Arbeitsplätzen zu gelangen, bräuchten wir sicherlich ein völlig neues institutionelles Gefüge, das viele Aspekte umfasst, sagt die Ökonomin, aber eine große Maßnahme, die uns dem Ziel näher bringen würde, ist eine Verkürzung der Arbeitszeit und eine gerechtere Umverteilung von Arbeitszeit und Lohn zwischen Männern und Frauen.

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