FINANZWELT

Eric Monnet über die demokratische Legitimation mächtiger Zentralbanken

Beim New Economy Short Cut am 11. Juli haben wir mit Eric Monnet, dem Autor von "Balance of Power", darüber diskutiert, was es für demokratische und unabhängige Zentralbanken braucht.

VON

FORUM NEW ECONOMY

VERÖFFENTLICHT

5. JULI 2024

Democratic money is bad money’. ‘Depoliticized money (…) is the ambition around the world.’ So brachte der einflussreiche Ökonom Rüdiger Dornbusch den makroökonomischen Zeitgeist auf den Punkt, der zur Zeit der EZB-Gründung vorherrschte. Die Währungshüter sollten ihre Unabhängigkeit allein dadurch bewahren, dass sie ihre Entscheidungen möglichst unpolitisch und nach technischen Kriterien fällen. In der Praxis erwies sich dieses Ideal entpolitisierter Zentralbanken als unrealistisch. In den vergangenen drei Jahrzehnten, insbesondere nach 2008, haben sich die Aufgaben der Zentralbanken erweitert und ihre Macht hat zugenommen.

Der Wirtschaftshistoriker Eric Monnet beschreibt in seinem Buch ‚Balance of Power‘, dass diese Entwicklung keineswegs neu ist: im Verlauf der letzten zweihundert Jahre haben weltweit viele Zentralbanken neue Instrumente und Strategien entwickelt, um auf unvorhergesehene Entwicklungen zu reagieren. Heute sieht Monnet die Währungshüter in der Pflicht, mehr demokratische Teilhabe und Transparenz zu schaffen.  Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise und ihrer makroökonomischen Folgen stünden  Zentralbanken in den nächsten Jahrzehnten außerdem weitreichende Entscheidungen bevor, mit denen die EZB an die Grenzen ihres derzeitigen Mandats stoßen werde. Um die Legitimität der Unabhängigkeit der Zentralbanken zu wahren und die Zentralbanker in die Dienst größerer demokratischer Ziele zu stellen, sei es nötig, den Austausch von Perspektiven und die kritische Prüfung von geldpolitischen Entscheidungen durch eine Institution außerhalb der Zentralbank einzurichten. Wäre ein „Europäischer Kreditrat“ unter Aufsicht des Europäischen Parlaments ein geeigneter Schritt in Richtung einer demokratisch legitimierten, unabhängigen EZB?

Diese und andere Fragen haben wir am 11. Juli mit dem Autor via Zoom diskutiert. Sie können die gesamte Diskussion unten nachverfolgen.

Der Autor des Buches betonte die „Falle des Zentralbankwesens“, in der die Regierungen den Zentralbanken weitreichende Verantwortung übertragen haben und sie oft als Hauptlösung für wirtschaftliche Schocks ansehen. Er wies auf die kritische Versicherungsfunktion der Zentralbanken bei solchen Schocks hin, die durch die Finanzialisierung der Staatsverschuldung noch ausgeprägter geworden ist. Monnet argumentierte, dass, obwohl die Monetaristen die Kreditpolitik historisch diskreditiert haben, die Zentralbanken die Kreditvergabe unweigerlich beeinflussen, sowohl absichtlich als auch unabsichtlich.

Die Mandate der Zentralbanken sind oft weit gefasst und vage, was durch unvollständige Verträge gekennzeichnet ist. Diese Unbestimmtheit macht es erforderlich, dass die Zentralbanken neue Strategien entwickeln, um auf Krisen zu reagieren. In diesem Zusammenhang betont Monnet die Notwendigkeit einer starken Rechenschaftspflicht und Beratung zwischen Zentralbanken und Parlamenten und schlägt eine Neudefinition der Unabhängigkeit der Zentralbank vor. In demokratischen Gesellschaften ist ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Legislative und Exekutive von entscheidender Bedeutung. Monnet schlug die Einrichtung eines Europäischen Kreditrates vor, um die Rechenschaftspflicht und Legitimität der EZB zu stärken. Dieser Rat würde eine kritische Überprüfung der geldpolitischen Entscheidungen erleichtern und eine breitere Debatte über die Maßnahmen der Zentralbank fördern, ohne die EZB direkt unter Druck zu setzen. Er wies auch auf das neue Dilemma hin, in dem sich die Zentralbanken in Bezug auf Inflation und Klimawandel befinden: Eine Erhöhung der Zinssätze zur Eindämmung der Inflation könnte umweltfreundliche Investitionen behindern, was die globale Erwärmung und wirtschaftliche Schocks noch verstärken könnte.

Peter Bofinger, Professor an der Universität Würzburg, erörterte die Rolle einzelner Zentralbankinterventionen zum Schutz von Staaten, die nicht in der Lage sind, ihr Finanzsystem zu reformieren oder eine grüne Kreditpolitik zu entwickeln. Er unterstrich die Bedeutung der Unabhängigkeit der Zentralbanken und warnte davor, die Geldpolitik aufgrund möglicher Gefahren für die Demokratie einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Bofinger skizzierte drei neue Aufgabenbereiche für Zentralbanken:

  1. Ökologische Übergangspreise
  2. Verwaltung der öffentlichen Schulden
  3. Entwicklung neuer Formen des digitalen Geldes

Er argumentiert, dass diese neuen Verantwortlichkeiten zusätzliche Maßnahmen über die rechtliche Unabhängigkeit hinaus erfordern. Er befürwortet zwar die Idee eines Europäischen Kreditrates, hält sie aber für eine bescheidene Lösung, da der Rat nur politische Empfehlungen aussprechen, aber keine Entscheidungen treffen würde, und somit eine Plattform für demokratische Kontrolle bieten würde, ohne die Unabhängigkeit der Zentralbanken zu untergraben. Bofinger betonte auch, wie wichtig die Koordinierung der Inflationsbekämpfungsmaßnahmen zwischen den Zentralbanken und anderen Institutionen sei, und sprach sich für formelle gemeinsame Verpflichtungen zwischen Regierungen und Zentralbanken aus, um die wirtschaftliche Entwicklung effektiver zu steuern.

Monnet erinnerte auch an historische Präzedenzfälle und stellte fest, dass es in den 1950er und 1960er Jahren in vielen europäischen Ländern ähnliche Krediträte gab, um die Zentralbankpolitik mit anderen Wirtschaftspolitiken zu koordinieren. Er war der Ansicht, dass eine solche Koordinierung die Wirksamkeit der Geldpolitik erheblich beeinflussen könnte. Monnet vertrat die Ansicht, dass der Vorschlag für einen Europäischen Kreditrat zwar bescheiden erscheinen mag, bei wirksamer Umsetzung jedoch die Art und Weise, wie die Geldpolitik wahrgenommen und ausgeführt wird, grundlegend verändern könnte. Durch die Verbesserung der Koordination und der demokratischen Legitimation könnte der Rat sicherstellen, dass die Zentralbanken umfassenderen gesellschaftlichen Zielen dienen und gleichzeitig ihre grundlegende Unabhängigkeit bewahren.

Die Diskussion nachträglich anschauen

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