FINANZWELT

Die Rückkehr des Helikoptergeldes? Short Cut mit Sascha Bützer und Dorothea Schäfer

Der IWF-Ökonom Sascha Bützer stellte in dem Short-Cut diese Woche eine alte Idee in neuem Gewand vor: Helikoptergeld in Form von direkten Transfers der Zentralbank.

VON

DAVID KLÄFFLING

VERÖFFENTLICHT

25. AUGUST 2022

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6 MIN

Angenommen, nach dem Pandemieausbruch hätte die EZB jedem Bürger der Eurozone 500 Euro überwiesen, anstatt Anleihen im Wert von 1 850 Milliarden Euro zu kaufen. Ob diese Reaktion eine vernünftige geldpolitische Alternative gewesen wäre, war das Thema des neuen Short-Cut von dieser Woche. Die Grundlage für die Diskussion bildete eine neue Studie des IWF-Ökonomen Sascha Bützer, der seine Ergebnisse vorstellte und mit DIW-Ökonomin Dorothea Schäfer diskutierte.

Sascha Bützer stellte zunächst sein Konzept der Outright Transfers (OT) vor, das er für das Instrumentarium der Zentralbanken vorschlägt. Die Grundidee ist einfach: Die Zentralbank würde Geld direkt an die Haushalte über die bestehenden Zahlungsinfrastruktur oder mithilfe digitalem Zentralbankgeld überweisen und damit unmittelbar die Geldbasis vergrößern. Damit ist klar, dass OT kein dauerhaftes Instrument wäre, sondern eher unter außergewöhnlichen Umständen eingesetzt werden könnte. Bützer stellte es als Alternative zum Quantitative Easing (QE) und zur monetären Finanzierung von Haushaltsdefiziten vor.

Doch warum sollte es überhaupt eine Nachfrage nach einer solchen Politik geben? Was sind die Probleme der Anleihenkaufprogramme? Das drängendste Problem sei, dass QE durch die Aufblähung der Vermögenspreise, von der die Haushalte am oberen Ende der Verteilung unverhältnismäßig stark profitiert haben, zu einer zunehmenden Vermögensungleichheit geführt hat. Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren die Wirksamkeit von QE bei der Ankurbelung der Gesamtnachfrage durch die Senkung des langfristigen Zinssatzes in Frage gestellt. Direkte Transfers würden beide Probleme lösen, indem sie mit weniger negativen Verteilungseffekten einhergehen und die Gesamtnachfrage über den unmittelbaren positiven Vermögenseffekt wirksamer steigern würden.

Der Nachteil von OT sei, dass im Gegensatz zu QE, bei der die Zentralbank einen Vermögenswert als Gegenleistung erhält, ein gezahlter Transfer als Verlust in ihrer Bilanz verbucht wird. Daher müssen die Risiken einer Bilanzentwertung gegen die positiven Auswirkungen auf die Nachfrage abgewogen werden. Wie ein Beispiel unter grundlegenden Modellannahmen zeige, könnte ein Transfer bereits nach 5 Jahren allein durch Seigniorage refinanziert werden.

Wenn die politischen Entscheidungsträger im Euroraum einen Anstieg des nominalen BIP um ca. 1 % (100 Mrd. e) erreichen wollten, würde dies einen Transfer von ca. 460 € an jeden erwachsenen Bürger (ca. 270 Mio.) erfordern, wenn man von einem MPC [marginal propensity to consume] von 0,8 (über vier Quartale) und einem Multiplikator von 1 ausgeht, was am unteren Ende des Spektrums der Schätzungen des fiskalischen Multiplikators der ELB liegt. [...] Es würde auch etwa das Fünffache der durchschnittlichen jährlichen Seigniorage des Eurosystems von ca. 25 Mrd. Euro betragen, was bedeutet, dass die Verringerung des Eigenkapitals der Zentralbank, die sich aus der neu geschaffenen Verbindlichkeit ergibt, unter sonst gleichen Bedingungen innerhalb von fünf Jahren allein mit der derzeitigen jährlichen Seigniorage wieder aufgefüllt werden könnte.
Sascha Bützer (2022)

Eine weitere oft diskutierte Alternative zu QE sind monetäre Finanzierung von Konjunkturprogrammen. Dabei gebe jedoch gewisse rechtliche (Maastricht-Vertrag und SWP-Fiskalregeln) und politische Hindernisse (Moral-Hazard-Argumente), die insbesondere im Falle einer Währungsunion gelten. Hinsichtlich der demokratischen Legitimation eines solch mächtigen Politikinstruments forderte Bützer, dass OT auf Regeln basieren (abhängig von einem Inflationsziel), datengestützt sein und sorgfältig kommuniziert werden müsste. Darüber hinaus sollte laut Bützer Umverteilung unter demokratischer Kontrolle bleiben, was OT Maßnahmen den aktuell umgesetzten QE vorziehen würde, da direkte Transfers mit geringeren Verteilungswirkungen einhergehen. Insgesamt könnte OT eine wirksamere und gerechtere Alternative zum QE darstellen, wenn herkömmliche Geldpolitik an der Zinsuntergrenze (effective lower bound) unwirksam wird.

Dorothea Schäfer (DIW Berlin) wies in ihren Kommentaren auf einen weiteren wichtigen Vorteil von Anleihenkaufprogrammen hin, nämlich die Unterstützung der Finanzstabilität. Sie stellte in Frage, ob OT nach der Finanzkrise oder während der Pandemie die gleiche beruhigende Wirkung auf die Finanzmärkte gehabt haben könnte. Darüber hinaus gebe es positive Nebeneffekte von QE für den Steuerzahler, da die Refinanzierungskosten für öffentliche Defizite gesenkt werden. Direkte Transfers sollten daher kein Ersatz für Programme zum Ankauf von Vermögenswerten sein (Substitut), sondern eher als ergänzendes politisches Instrument betrachtet werden (Komplement). Darin stimmten beide Diskutanten überein.

In der Diskussion kam die Frage auf, wie OT mit der asymmetrischen Inflationsdynamik in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Eurozone umgehen würde. Direkte Transfers würden dabei ähnlich wie ein automatischer Stabilisator eine ausgleichende Wirkung haben. In Ländern, die nahe am Output-Potenzial liegen, würden sich die Transfers in erster Linie in Preiseffekten niederschlagen und die Inflation in die Höhe treiben, während sie in Ländern mit geringerer Wirtschaftsaktivität stärkere reale Auswirkungen hätten – die Maßnahme hätte also eine Konvergenzwirkung.

Die alte monetaristische Idee des Helikoptergeldes könnte den Kritikern der EZB, die sich vor allem an stark steigenden Vermögenspreise und der monetären Finanzierung von Haushaltsdefiziten stören, den Wind aus den Segeln nehmen. Dennoch würden die Zentralbanken mit diesem Politikinstrument den bekannten Weg der konventionellen und sogar der unkonventionellen Geldpolitik verlassen, die beide indirekt über den Finanzsektor wirken. Lesen Sie hier mehr zum Thema Helikoptergeld.

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