DER STAAT | NEW ECONOMY SHORT CUT

Ein bundesweiter Mietendeckel gegen die Wohnungskrise?

23.08.2021

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Nicht zuletzt seit der zeitweisen Einführung des Mietendeckels in Berlin wird in Politikkreisen und auch medial viel und heftig über die deutsche Wohnungs-und Mietpolitik debattiert. Im Wahlkampf hat sich dies nur verschärft. Kaum eine andere Partei macht sich das Thema der Wohnungspolitik dabei so zu eigen wie die Linke. In ihrem Wahlprogramm verspricht die Partei unter anderem, Mieten bundesweit zu deckeln, Wohnungen vermehrt in öffentliche Hand zu überführen, und den sozialen Wohnungsbau massiv auszubauen – mit 15 Milliarden Euro pro Jahr.

Aber würde ein bundesweiter Mietendeckel dauerhaft helfen – und ist ein derartiger Eingriff in den Markt aus ökonomischer Sicht überhaupt sinnvoll? Darüber haben wir am 23. August mit Caren Lay, der Vize-Fraktionschefin der Linken, und Claus Michelsen, dem ehemaligen Konjunkturchef am DIW gesprochen. Der Beitrag ist Teil unserer New Economy Short Cut Reihe zur Bundestagswahl, bei der wir prominente Kandidaten und Kandidatinnen zur Wahl in den Bundestag einladen, die Versprechen ihrer Partei im Hinblick auf die großen ökonomischen Fragen unserer Zeit mit uns zu diskutieren. Weitere Diskutanten sind Norbert Walter-Borjans (SPD), Christian Dürr (FDP) und Anja Hajduk (Bündnis 90/ Die Grünen).

Beim Thema Wohnungs-und Mietenpolitik gibt es viel zu bedenken und abzuwägen, sodass ein Konsens selten daherkommt, dies kristallisierte sich in der Diskussion zwischen Caren Lay und Claus Michelsen recht schnell heraus. Die wichtigsten Takeaways und Anknüpfungspunkte hier im Überblick.

Was sind die zentralen Elemente einer sozial sinnvollen mietpolitischen Offensive? Mit dieser Frage startete die Diskussion. Laut Caren Lay zählen dazu vor allem der massive Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, ein Bundesgesetz gegen den Mietenanstieg nach Vorbild des Berliner Mietendeckels (angepasst an das lokale Mietniveau), eine stärkere Bestrafung von Mietwucher und die Möglichkeit, besonders hohe Mieten abzusenken. Die Mietpreisbremse sei ein unzulängliches Instrument, um den Mietenanstieg zu begrenzen. Ebenso wichtig sei die Einführung eines Antispekulationsgesetzes, um die Überhitzung des Immobilienmarktes abzumildern.

Generell sei zu beachten, dass es sich beim Wohnen um ein Grundbedürfnis handele, welches besonders schützenswert sei. Bei einem unregulierten Wohnungsmarkt seien viele Menschen die Leidtragenden – eine Erosion des sozialen Gefüges und wachsende Ungleichheit sei die Folge. Reformen im Unternehmenssteuerrecht und die in den letzten Jahrzehnten beobachtbare Finanzmarktliberalisierung hätten den deutschen Immobilienmarkt attraktiver gemacht, Großinvestitionen durch ausländische Akteure auf dem Markt trieben so die Preise nach oben. So werde oft am Bedarf der Menschen nach erschwinglichem Wohnraum vorbei gebaut.

Und Claus Michelsen? Auch er gab zu bedenken, dass insbesondere beim sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. Dies treffe vor allem die unteren 20-30% der Einkommensverteilung. Einigkeit gab es auch darüber, dass der Wohnungsmarkt großen Einfluss darauf hat, wie sich Vermögens-und Einkommensverteilung sowie soziale Ungleichheit entwickeln. Anders als Frau Lay betonte Herr Michelsen aber, dass Regulierung zwar in einem gewissen Rahmen sinnvoll ist, da das Angebot nicht kurzfristig genug auf höhere Nachfrage reagieren kann. Gleichzeitig sei es sinnvoller, anstelle eines rigiden Eingriffs in Form eines Mietendeckels bestehende Instrumente wie die Mietpreisbremse nachzuschärfen. Die funktioniere besser als ihr Ruf es vermuten ließe. Ein Mietendeckel könne laut Michelsen zu geringeren Investitionen im Bestand und dadurch einer geringeren Qualität führe. So fehle dann auch privates Kapital für klimafreundliche Renovierungen.

Und die Hinweise, wonach der Mietendeckel in Berlin zu einem Rückgang an verfügbaren Wohnungen geführt hatte? Michelsen sieht hier vor allem den Vertrauensbruch zwischen Vermieter*innen und Investor*innen auf der einen, und der Politik auf der anderen Seite als problematisch. Caren Lay hingegen lehnte Rückschlüsse mit dem Hinweis ab, dass die Beobachtungsperiode zu kurz gewesen sei, um Handlungskonsequenzen abzuleiten.

Was war sonst noch wichtig?

Insbesondere eine von der Politik betriebene aktive Bodenpolitik ist ein wichtiges Instrument in der Wohnungskrise, so Michelsen. Hohe Bodenpreise sorgten für einen Druck bei Bauinvestitionsvorhaben – oftmals seien diese nur rentabel, wenn Wohnungen im oberen Preissegment vermietet würden. Hinzu kommt laut Michelsen, dass die jetzige Grund- und Bodenbesteuerung nicht abbildet, wie sich Werte des Grund und Bodens in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Deshalb schlage er eine bodenwertbezogene Besteuerung vor.

Weitere Instrumente, die sinnvoller seien als ein Mietendeckel: Bodensteuern gegen Spekulation mit Bauland, die Einführung einer Mietenbesteuerung (Mieten bleiben unreguliert, hohe Renditen werden aber entsprechend abgeschöpft), die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen sowie eine Reform der Erbschaftssteuer. Da Immobilien den größten Teil des privaten Vermögens ausmachen, und sich bei den oberen 10% der Vermögenden konzentrieren, sollte man sich laut Michelsen auch an dieser Stelle noch mehr Gedanken machen.

Instrumente, die Caren Lay ins Spiel brachte: Die Einführung einer Vermögensteuer und eine damit verbundene Reform der Grundsteuer, eine Reform der Erbschaftsteuer und die Besteuerung von Transaktionen.

Das Thema Wohnungspolitik ist heftig debattiert und politisch aufgeladen. Insbesondere das Außerkraftsetzen des Berliner Mietendeckels durch das Bundesverfassungsgericht im April 2021 hat bundesweit für viel Aufruhr gesorgt. Während sich in einer Umfrage der ING DiBa immerhin eine deutliche Mehrheit von 60,5 Prozent der Befragten für einen bundesweiten Mietendeckel ausgesprochen hat, herrscht in der Politik mitunter wenig Einigkeit ob der Sinnhaftigkeit einer derartigen Regulierung des Wohnungsmarktes.

Die Linke fordert in ihrem Wahlprogramm einen bundesweiten Mietendeckel. Besonders hohe Mieten sollen so abgesenkt und der Anstieg des Mietniveaus beendet werden. Gleichzeitig will die Partei den sozialen Wohnungsbau mit 15 Milliarden Euro/ Jahr fördern. Bis zu 250.000 Sozialwohnungen sollen so jährlich entstehen. Vertreter von FDP und CDU/CSU lehnen einen Mietendeckel dagegen klar ab. Auch unter Ökonominnen und Ökonomen gibt es bis heute keinen Konsens, wenn es um die Frage geht, ob eine Regulierung des Wohnungsmarktes sinnvoll und nötig ist – und wenn ja, in welcher Form. Doch was sind die häufigsten Streitpunkte?

Auf der einen Seite stehen diejenigen, die jegliche Mietkontrollen unter Verweis auf die Effizienz von Märkten ablehnen. Regulierungsgegner argumentieren häufig, dass Preisregulierungen zu einer Überschussnachfrage führen und die Knappheit noch vergrößern würden, da der Allokationsmechanismus über Preise gestört würde. Auch die Wirtschaftsweisen haben in der Vergangenheit regulierende Instrumente wie die Mietpreisbremse als nicht wirksam abgelehnt.

Doch ob der Wohnungsmarkt wirklich ein geeignetes Beispiel für die Ineffizienz staatlicher Regulierungen darstellt, ist aus mindestens zwei Gründen fraglich. Erstens handelt es sich beim Wohnen nicht um ein beliebiges Gut, sondern um ein Grundbedürfnis mit weitreichenden sozialen Implikationen. Folglich gibt es gute Gründe, warum eine Allokation dieses Gutes sich nicht bloß an individuellen Zahlungsbereitschaften orientieren, sondern auch andere Faktoren berücksichtigen sollte.

Zweitens ist der Wohnungsmarkt durch verschiedene Faktoren – zum Beispiel durch hohe Transaktionskosten beim Umzug, langer Dauer bei der Anpassung des Angebots (Bauen), Begrenzungen des Angebots durch knappes Bauland und bürokratische Hürden – weit von einem vollkommenen Wettbewerbsmarkt entfernt, was die abgeleitete Politikempfehlung eines deregulierten Wohnungsmarktes weniger eindeutig erscheinen lässt. So äußerte sich Achim Truger, seinerseits Mitglied der Wirtschaftsweisen, wie folgt: „…es dürfte eigentlich unstrittig sein, dass beim Wohnen der freie Markt nicht funktioniert. Da lässt sich in vielen Fällen Marktversagen wegen Marktmacht und zeitlichen Verzögerungen zwischen Nachfrage und Angebot feststellen. Also kann man sicher vielfältige staatliche Eingriffe – auch eine Mietpreisbremse – rechtfertigen.“

Hinzu kommt, dass sich Kenntnisse mehren, wonach hohe Mieten die soziale Ungleichheit verschlimmern. Dies legt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Hans-Böckler-Stiftung nahe, wonach hohe Mietzahlungen die ohnehin schon bestehende Einkommenspolarisierung in der Gesellschaft weiter verstärken. Ähnliches hatte auch eine vom Forum in Auftrag gegebene Studie herausgefunden. Unbestritten ist auch, dass Deutschland Sozialwohnungen verliert. Allein in den vergangenen zwanzig Jahren hat sich der Bestand ungefähr halbiert. Einer der Gründe: nach einer bestimmten Frist verlieren die Wohnungen ihre Sozialbindung und wandern auf den freien Markt. Befürworter von Mietpreisregulierungen wollen diese unerwünschten sozialen Effekte abfedern, bis sich durch zusätzliche Schaffung neuen Wohnraums die Lage entspannt hat.

Problematisch: In Berlin, wo der Mietmarkt zeitweise durch den Mietendeckel drastisch reguliert wurde, konnte ein erheblicher Rückgang des Angebots an Mietwohnungen nachgewiesen werden. Wie die ökonomischen Effekte einer Regulierung mit dem Schaffen neuen Wohnraums in einen maximal sozial verträglichen Rahmen gebracht werden können, bleibt somit eine offene empirische, ebenso wie politische Frage.

Die ausführliche Erläuterung der ökonomischen Debatten zur Frage, ob und wie stark der Wohnungsmarkt reguliert werden sollte – hier.

Eine Forum Studie zur Ungleichheit in Deutschland, mit Blick auf die Rolle von Immobilienvermögen als Treiber der sozialen Ungleichheit– hier.

Eine noch unveröffentlichte Studie zu den Hauptreibern der Ungleichheit in Deutschland, vorab besprochen bei unserem achten New Paradigm Workshop – hier.