INNOVATION LAB
Well-being at the Heart of Policy Indicators
Welche Indikatoren abseits des BIP können die politischen Entscheidungsträger auf dem Weg zu einer sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft begleiten? Dies war eine der zentralen Fragen unseres Symposiums zum Wohlstand im 21. Jahrhundert.
VON
MAREN BUCHHOLTZVERÖFFENTLICHT
2. SEPTEMBER 2021LESEDAUER
3 MINIn der ersten Session unseres in Kooperation mit The New Institute veranstalteten Symposiums zum Wohlstand im 21. Jahrhundert, gaben Dr. Nicola Brandt und Lara Fleischer von der OECD Einblicke in bewährte Verfahren zur Wohlstandsmessung, über das BIP hinaus, aus dem Umfeld der OECD. Derzeit misst etwa die Hälfte der Mitglieder der Organisation das Wohlbefinden, entweder unter der Leitung von Ministerien oder statistischen Ämtern. Die Forscherinnen stellten vier verschiedene Ansätze zur Umsetzung von Maßnahmen zum Wohlbefinden vor: die Festlegung von Visionen (z. B. durch nationale Entwicklungsstrategien und die SDGs), die Gestaltung von Haushaltsentscheidungen (z. B. das „Wellbeing Budget“ in Neuseeland), die Einrichtung neuer institutioneller Strukturen (z. B. das britische „What Works Centre for Wellbeing“) und Rechenschafts- bzw. Überprüfungsmechanismen (z. B. der walisische „Future Generations Commissioner“). Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Schaffung von Rechtsvorschriften und die Einbeziehung der Parlamente sowie der Bürgerinnen und Bürger die Rechenschaftspflicht im Umsetzungsprozess fördern können. Ein weiterer Punkt war, dass die Führung durch die Zentralregierung dazu beitragen kann, Silos zu vermeiden. Es gibt jedoch keine pauschale Antwort, und es bleiben offene Fragen, z. B. warum im Falle Deutschlands die Initiative „Gut leben in Deutschland“ noch nicht stärker in den politischen Entscheidungsprozess integriert wurde.
Dr. Katherine Trebeck (WEALL) plädierte für eine Neuausrichtung der Wirtschaft. Sie argumentierte, dass das Streben nach grünem oder nachhaltigem Wachstum, d.h. der Ansatz, „Wachstum mit schönen Adjektiven zu versehen“, den sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit nicht angemessen sei. Wir müssen uns auch von einer alten sozialdemokratischen Vorstellung von wirtschaftlicher Gerechtigkeit lösen, die immer noch auf Wachstum setzt. Stattdessen sollten wir uns auf den Zweck der Wirtschaft besinnen. Dazu sollten die Grundsätze der Fairness, der Würde, der Umverteilung, der Prävention (von sozialen und ökologischen Schäden), der Achtung der planetarischen Grenzen und der globalen Gerechtigkeit gehören. Ihrer Ansicht nach setzt das BIP perverse Anreize, weshalb alternative Maßnahmen intuitiv Sinn machen müssen, damit die Bevölkerung ihre Politiker zur Rechenschaft ziehen kann.
Prof. Dr. Sebastian Dullien (IMK) stellte das Konzept des „Neuen Magischen Vierecks der Wirtschaftspolitik“ vor, das neben dem BIP auch die soziale, ökologische und finanzielle Nachhaltigkeit umfasst. Er räumte ein, dass dieses Konzept von den politischen Entscheidungsträgern noch nicht in entscheidender Weise aufgegriffen wurde.
Prof. Dr. Dennis Snower (THE NEW INSTITUTE) stellte seinen „SAGE“-Ansatz zum ganzheitlichen Wohlbefinden als Summe von vier Aspekten vor: Solidarität (S), Handlungsfähigkeit (A), materieller Gewinn (G) und ökologische Nachhaltigkeit (E). In einer Analyse von über 150 Ländern stellte er fest, dass sich das BIP meist nicht im Einklang mit den drei anderen Konzepten bewegt.
Aus der Sicht eines Praktikers wies Jakob von Weizsäcker (BMF) darauf hin, dass das Ziel sein müsse, ein Gleichgewicht zwischen Input- und Output-Indikatoren herzustellen. Zwar sei der materielle Wohlstand die Basis für gesellschaftlichen Fortschritt und bestimmte Formen der Solidarität. Die Unzulänglichkeiten des BIP als Messgröße seien bekannt. Man sollte es daher nicht überinterpretieren, aber könne auch nicht gänzlich darauf verzichten. Er sprach sich dafür einen Ansatz von „beyond GDP und nicht instead of GDP“. Denn mit steigender Anzahl und Komplexität der Indikatoren (z.B. die 17 UN-SDGs und ihre 169 Unterziele) steige die Gefahr, dass diese der Bevölkerung nicht mehr vermittelt werden könnten.