NEUES LEITMOTIV

Forum-Studie "Beyond externalities": Forscher entwickeln Alternative zu Klimapolitik über Kostenschocks

Klimapolitik sollte zuerst auf positive Anreize setzen – und die Preise etwa für Benzin oder klimaschädliches Heizen erst steigen lassen, wenn die Menschen erschwingliche Alternativen haben.

VON

FORUM NEW ECONOMY

VERÖFFENTLICHT

20. NOVEMBER 2025

Die Klimapolitik sollte angesichts mangelnder Durchsetzbarkeit künftig weniger auf die Verteuerung von Benzin, Öl- oder Gasheizungen setzen – und die Preise für schädliches Verhalten erst dann stark steigen lassen, wenn Verbraucher eine realistische und erschwingliche Alternative haben. Das geht aus einer Studie hervor, die das Forum New Economy heute veröffentlicht.

Zweifel an der herkömmlichen Empfehlung kostengetriebener Verhaltensänderungen waren zuletzt erneut verstärkt worden, als die EU-Umweltminister sich darauf verständigten, die geplante nächste Stufe des Emissionshandels (ETS2) angesichts mangelnder politischer Durchsetzungsfähigkeit um ein Jahr zu verschieben. Schon seit den Gelbwesten-Protesten in Frankreich 2018/19 zeigt sich, dass die Idee der CO₂-Bepreisung in der Praxis immer wieder auf Widerstand stößt. Auch gibt es Zweifel, wie schnell sich durch das Prinzip des Verteuerns wirklich Verhalten ändern lässt. Die CO₂-Bepreisung gilt unter konventionellen Ökonomen nach wie vor als primäres Instrument der Klimapolitik.

Besser wäre es, die Klimapolitik als Aneinanderreihung zu verstehen, schreiben dagegen Eric Lonergan (Calibrate Partners), Michael Grubb (University College London) und Isabella Wedl (Forum New Economy) in ihrem Papier „Beyond externalities – a new framework for climate policies“.

Durch einen engen Fokus auf CO₂-Bepreisung lasse sich eine so grundlegende Entwicklung hin zu sauberer Energie sowie eine umfassende Elektrifizierung nicht erreichen. Die Forscher plädieren für einen Mix aus strategischer Investitionsförderung, positiven Anreizen und CO₂-Preis. Entscheidend sei die Abfolge, zunächst Kapitalkosten für grüne Investitionen zu senken und attraktive klimafreundliche Alternativen flächendeckend bereitzustellen. Erst dann könne CO₂-Bepreisung ihre volle Wirkung entfalten und zugleich politisch tragfähig bleiben.

Ähnliches gelte für die Verbraucherseite. Wenn Alternativen – wie etwa günstige und reichweitenstarke Elektroautos – noch fehlen, können Konsumenten auch nur sehr bedingt nur auf Preissteigerungen – etwa für Benzin – reagieren. Zudem stoßen CO₂-Preise oft auf politische und soziale Widerstände. „Wir können kein neues Energiesystem aufbauen, indem wir das alte teurer machen“, so Eric Lonergan. Gegen die geplante Erhöhung der CO₂-Preise über das ETS2 hatten schon vor Monaten Automobilverbände protestiert. Die FDP im Bundestag hatte darauf ihre Zustimmung auch zurückgezogen.

Auch hier sollte über Investitionen in die Ladeinfrastruktur und Subventionen wie Elektromobilitäts-Prämien zuerst dafür gesorgt werden, dass sich die Anschaffung eines Elektroautos lohnt. Dann könnte die Besteuerung von Benzin für Verbrennungsmotoren angehoben werden. So ein branchenbezogenes Sequencing könnte sich auch hinsichtlich des ETS2 als eine Alternative erweisen zu dem jetzt beschlossenen simplen Verschieben um ein Jahr.

Strategische Investitionsförderung ist zentral.
Der Ausbau erneuerbarer Energien, Elektrifizierung und Infrastruktur erfordern niedrigere Kapitalkosten und stabile regulatorische Rahmenbedingungen. Wie die Autoren der Studie ausführen, könnten Kredite, Garantien oder Kostenausgleiche die Kosten für den Aufbau solcher Infrastruktur senken, damit es zum Aufbau überhaupt kommt

Positive Anreize wirken – und müssen sozial ausgestaltet sein.
Erfolgsbeispiele aus Norwegen, China und den USA (Inflation Reduction Act) zeigen der Studie zufolge, dass Menschen und Unternehmen umsteigen, wenn klimafreundliche Technologien günstiger und praktischer werden. Positive Anreize sollten so gestaltet sein, dass auch Haushalte mit geringem Einkommen und strukturell schwache Regionen profitieren.

Ein neues Narrativ: Erneuerbare als Treiber sinkender Stromkosten.
Der öffentliche Diskurs stellt Klimapolitik häufig als Belastung dar. Das Paper betont dagegen, dass erneuerbare Energien zunehmend die kostengünstigste Form der Energieversorgung darstellen und langfristig zu sinkenden Strompreisen, höherer Wettbewerbsfähigkeit und gestärkter Energie- und Verteidigungssicherheit beitragen.

Das Paper skizziert somit auch ein neues Paradigma für die Klimapolitik, wie es international unter Klimaökonomen und Klimaökonominnen zunehmend diskutiert wird. Das Modell der Aufeinanderfolge der Instrumente (Sequencing) könnte helfen, ein Grundhindernis der Klimapolitik zu beseitigen. Anwendbar wäre das nicht nur für die EU-Regelung, sondern auch, wenn es um die Politik der Bundesregierung und die Frage geht, wann und wie lange es sinnvoll ist, etwa die Kaufprämie für Elektroautos zu haben.

Das vollständige Paper finden Sie hier.

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