FINANZWELT

Balanceakt zwischen Pest und Cholera: Die Rolle der Notenbanken in Finanzkrisen

Einst tabu, heute gang und gäbe: Notenbanken sind zu ewigen Rettern in letzter Instanz geworden. Wann ist eine Rettung nötig, wann nicht? Diskussion zwischen Bundesbankpräsident Joachim Nagel und IfW-Kiel Präsident Moritz Schularick.

VON

DAVID KLÄFFLING

VERÖFFENTLICHT

6. FEBRUAR 2024

LESEDAUER

6 MIN
"Vor der Finanzkrise 2008 haben viele an die Effizienz der Finanzmärkte geglaubt, dass die Risiken sich ausgleichen, und viele Dinge verankert, die sich nachher als nicht gut herausgestellt haben. Wir haben nur auf das Rating geschaut und nicht auf die Struktur... Wir haben danach erst schmerzhaft gelernt, was es heißt, wenn das System sich nicht als effizient erweist, wenn du als Notenbank die Wahl zwischen Pest und Cholera hast."
Joachim Nagel, 30. Januar 2024

Finanzkrisen und Bankenrettung gibt es nicht erst seit gestern. Zu dem Ergebnis kommt Moritz Schularick mit Ko-Autoren in der Studie ‚The Safety Net: Central Bank Balance Sheets and Financial Crises, 1587-2020‘. Ganz im Gegenteil hat es in den letzten 400 Jahren nicht an Finanzkrisen gemangelt, in denen Notenbanken als Retter in letzter Instanz eingreifen mussten. Welche Lehren lassen sich aus der historischen Analyse für die heutige Zentralbankpolitik ziehen? Das haben wir in der letzten Woche mit dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank Joachim Nagel und dem Autor der Studie und Präsidenten des Kiel Instituts für Weltwirtschaft Moritz Schularick ausgiebig diskutiert.

Die Präsentation der Studie zum Eingang von Thomas Fricke vorgestellt

Die Studie legt nahe, dass sich im Laufe der Zeit die Bereitstellung von Liquidität während finanzieller Turbulenzen die Wirtschaft zwar erfolgreich stabilisieren konnten. Gleichzeitig haben sie aber die Wahrscheinlichkeit künftiger Boom-Bust-Episoden erhöht. Denn: Banken, die sich in Sicherheit wiegen, gehen mehr Risiken ein (Moral Hazard).[1]

Angesichts der massiven Überschussliquidität im Finanzsystem seit der Pandemie scheint die Frage nach dem Zielkonflikt zwischen Rettung und erhöhter Risikobereitschaft aktueller denn je. Grund für die erhöhte Zentralbankaktivität ist laut Joachim Nagel, dass sich das Finanzsystem in den letzten Jahren grundlegend verändert habe: Finanzmärkte seien viel größer geworden, die Geschwindigkeit habe deutlich zugenommen und auch Finanzkrisen würden gehäuft auftreten. Gleichzeitig sind laut Nagel auch die Sicherheits- und Liquiditätsanforderungen an die Banken gewachsen, was beispielsweise dabei geholfen habe, mit der Krise Anfang 2023 (Credit Suisse) umzugehen.

Zudem hat die Finanzkrise 2008 zu einem Paradigmenwechsel in der Notenbankpolitik geführt. Während im damals vorherrschenden marktliberalen Paradigma effiziente Finanzmärkte Risiken absorbieren und damit Zentralbankeingriffe obsolet machen, hat die Krise die systemische Vulnerabilität des Finanzsystems offengelegt.

"Müssen wir immer schneller laufen, nur um stillzustehen? Indem die Zentralbank Risiken aus dem System nehmen will, aber dadurch gleichzeitig dazu einlädt, neue Risiken einzugehen. Am Ende sind wir da, wo wir vorher waren, und die Krise passiert trotzdem."
Moritz Schularick, 30. Januar 2024

Dass sich die Rahmenbedingungen deutlich verändert hätten, dem stimmte auch Moritz Schularick zu. Zwar hätte es das Dilemma zwischen Rettung und mehr Risiko immer schon gegeben, sei aber in den letzten Jahren wichtiger geworden. In den letzten Jahrhunderten gebe es eine eine systematische Entwicklung, dass Zentralbanken in Krisen Liquidität zur Verfügung stellten. Bei Covid sei es noch schneller gegangen: es gebe große Ankaufprogramme, die bei Bedarf (re)-aktiviert werden können und das wüssten Marktteilnehmer. Was wiederum die Spielregeln ändere. Sorgen Zentralbanken, indem sie das Sicherheitsnetz aufspannen, im Zweifel für mehr Risiko?

Nagels Antwort war, dass in Grenzsituationen nichts anderes übrig bleibe, als zu handeln. Es sei eben eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Allerdings sei klar, dass der Grenznutzen der Interventionen abnehme. Das heißt, man muss immer mehr tun, um eine gewisse Reaktion zu erhalten. Das liege daran, dass Marktteilnehmer sehen wie Zentralbanken wirken und sie ihre Geschäftspraktiken teilweise anpassen. Dadurch wüchsen die Größenordnungen der Interventionen. Die wichtige Frage laut Nagel ist, ob Zentralbanken sich aus dem Markt zurückziehen könnten. Eine Frage, die der Bundesbankpräsident klar mit ‚Ja‘ beantwortet: Um die Preis- und Finanzstabilität als öffentliches Gut zu bewahren, müsse in ruhigen Zeiten die Bilanzsumme zurückgefahren werden.

Darin, dass Notenbanken in Krisen intervenieren sollten, war Moritz Schularick sich einig mit Joachim Nagel. Genau das zeige ja die Studie: Interventionen würden helfen! Allerdings sei wichtig nach der Krise auf die großen Banken zu schauen, weil diese makroprudenziell entscheidend seien. Was man sehe in Krisen, dass die Großen mit ihrer Kreditvergabe systemische Krisen auslösten und aus der Krise damit belohnt würde, dass sie noch größer würden.

Auf die Frage nach Verteilungseffekten von Interventionen à la ‚Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert‘ verteidigte Joachim Nagel die Politik der Zentralbanken.

"Manchmal ist es die Abwägung zwischen Pest und Cholera und ich denke trotzdem, dass der Einsatz in den letzten 15 Jahren der richtige war. Denn ohne den Einsatz der Notenbanken wäre die Rechnung für alle noch teurer geworden."
Joachim Nagel, 30. Januar 2024

Schularick schloss sich mit einem Appell an, man solle bei den Kosten nicht auf die fiskalischen Kosten, sondern auf die verloreren Outputkosten (BIP Wachstum) schauen, die viel größere gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtseffekte mit sich bringen würden.

Welches Fazit lässt sich also ziehen – sollten Zentralbanken eingreifen und wie? Beide Diskutanten waren sich einig, dass in Krisen interveniert werden sollte, um die negativen Effekte von systemischen Finanzkrisen abzumildern und das System zu stabilisieren. Weil sich Risiken eben nicht von selbst im freien Spiel der Marktkräfte ausgleichen. Umso wichtiger sei es, danach die großen Player genau im Blick zu behalten, um zukünftige Krisen möglichst zu vermeiden.

Die ganze Diskussion gibt es hier

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Auch zehn Jahre nach der Finanzkrise scheint eine wirkliche Stabilität des Finanzsystems nicht in Sicht zu sein. Risiken werden periodisch falsch bewertet und führen zu Boom-Bust-Zyklen. Ein stabileres Finanzsystem sollte kurzfristige Spekulationen erschweren, systemische Risiken begrenzen und das Vermögen gerechter verteilen.

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