NEUES LEITMOTIV

Newsletter: Was Deutschland wirklich fehlt

Aus unserer Forum New Economy Newsletter Reihe.

VON

THOMAS FRICKE

VERÖFFENTLICHT

9. FEBRUAR 2024

LESEDAUER

3 MIN

Wenn es zu diagnostizieren gilt, wie es um Deutschland steht, geht es gerade ein bisschen zu wie auf dem Basar. Und jede noch so widersinnige Aussage scheint recht – Hauptsache, es dreht den Befund vom irgendwie absteigenden Land noch ein bisschen weiter. Wirklich? Ist Deutschland ganz und gar „nicht mehr wettbewerbsfähig“ – wenn die Firmen nach wie vor enorme Exportüberschüsse einfahren? Und will wirklich keiner mehr bei uns investieren – wenn die Investitionen im Land wie 2023 noch einmal spürbar gestiegen sind? Und muss wirklich überall gespart und gekürzt werden – wenn Deutschland im internationalen Vergleich grundsolide Staatsfinanzen hat? Da scheint so mancher Befund gerade mehr durch Lobbys und überkommene wirtschaftspolitische Reflexe herbeigeredet zu werden als wirklich wahr zu sein.

Was Stimmung und Lage bei uns tatsächlich (in Maßen) trübt, lässt ein Index vermuten, der zu registrieren versucht, wie oft in wichtigen Medien von Unsicherheit die Rede ist – wobei die Ergebnisse in der Vergangenheit zwischen den USA und Deutschland stets einigermaßen parallel liefen. Seit 2021 gehen die Kurven drastisch auseinander: während bei uns die wahrgenommene Unsicherheit grassiert, hat sich das Phänomen in den USA nach dem Corona-Schock gelegt.

Warum bei den Deutschen die Unsicherheit grassiert? Dass es auf der Welt per se mehr Krisen gibt, kann’s nicht sein. Das würde in beiden Ländern wirken. Ebenso wie die Unsicherheit, die mit den drohenden Klimakrisen verbunden ist. Auch ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die oft zitierte Bürokratie in Deutschland just seit 2021 zu so einem Unterschiedsfaktor geworden ist.

Wahrscheinlicher ist, dass der Krieg in der Ukraine für die USA einfach weiter weg ist – und auch Folgen des Kriegs wie die zwischenzeitlich drastisch gestiegenen Gaspreise weniger schaden. Was wiederum einen Teil jener wirtschaftspolitischen Unsicherheit erklärbar macht, den in Deutschland schlicht die viel größere Herausforderung eines nahen Kriegs mit sich bringt. Dass in den USA der Unsicherheits-Index so deutlich wieder gefallen ist, könnte dann auch damit zu tun haben, dass US-Präsident Joe Biden sehr viel Energie und Geld darauf gesetzt hat, in die Wirtschaft zu investieren und viel zu subventionieren – und davon auch nicht abzuweichen.

Anders als die Bundesregierung, die zwischen großen Investitionsansprüchen und dem Bestreben schwankt, das Staatsdefizit abzubauen – obwohl, siehe oben, es dafür keinen wirtschaftlich oder finanziell akuten Grund gibt. Vielleicht ginge es Deutschland schon sehr viel besser, wenn sich die Regierungskoalition mal drauf verständigte, wohin sie will.

*

Dass etablierte Ökonomen und Ökonominnen gelegentlich daneben liegen, und selbst in den USA, hat Nobelpreisträger Angus Deaton in seinem jüngsten Buch „Economics in America“ dargelegt. Die Ökonomie sei eine Disziplin, die sich zu lange auf Effizienz fokussiert und andere soziale Belange außer Acht gelassen habe. Darüber diskutieren wir mit Deaton bei unserem nächsten New Economy Short Cut – am 20. Februar ab 17 Uhr. Kommentieren wird Christoph Schmidt, Präsident des Essener RWI-Instituts, früherer Chef des Sachverständigenrats – und einst Schüler von Deaton. Moderation: Heike Buchter (DIE ZEIT). Anmeldung – hier.

Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.

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