KLIMA

Energiekrise - Wie man sich auf den nächsten Schock vorbereitet

Wie können wir in Zukunft ein widerstandsfähiges Energiesystem aufbauen? Tom Krebs stellte auf unserem XII New Paradigm Workshop Erkenntnisse aus einer kommenden Studie vor.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

15. MAI 2023

LESEDAUER

5 MIN

Angesichts der Energiekrise, die auf fossilen Brennstoffen basiert, ist die Frage, wie ein zukünftiges resilientes Energiesystem aufgebaut werden kann, eine der wichtigsten Debatten der Gegenwart. Auf unserem XII. New Paradigm Workshop haben wir Tom Krebs eingeladen, die Ergebnisse einer neuen Studie des Forum New Economy vorzustellen, die die Eckpfeiler eines resilienten deutschen Energiesystems skizziert. Die Ergebnisse wurden mit ZEW-Präsident Achim Wambach und der Leiterin der Denkfabrik Agora Energiewende Frauke Thies diskutiert. Cécile Boutelet von Le Monde moderierte die Diskussionsrunde.

Während die Krise an sich unumstritten ist, herrscht über das Ausmaß der Auswirkungen und die Konsequenzen für die Politik nach der Energiekrise in Deutschland noch immer kein vollständiger Konsens. Einige Ökonomen sind der Meinung, dass die Auswirkungen der Krise auf die Gesamtwirtschaft gering blieben. Trotz eines zehnfachen Anstiegs der Gaspreise auf dem Höhepunkt der Krise ist das deutsche BIP nicht so dramatisch gesunken wie befürchtet. Tom Krebs wies darauf hin, dass diese Sichtweise vereinfachend sei, da sie den Unterschied zwischen der tatsächlichen Entwicklung des BIP und der Entwicklung, die das BIP ohne die Energiekrise genommen hätte (auf der Grundlage von Modellprognosen), außer Acht lasse. Außerdem sei für die meisten Menschen nicht das BIP ausschlaggebend, sondern das Arbeitseinkommen. In dieser Krise gab es eine große Divergenz zwischen dem BIP und den Reallöhnen, wobei letztere viel stärker zurückgingen.

Der BIP-Verlust im Jahr 2022 war ähnlich hoch wie die Verluste während der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 und etwas geringer als während der Finanzkrise. Allerdings wurde zu Beginn des Jahres 2022 ein sehr schnelles Wirtschaftswachstum erwartet, das sich aufgrund der Krise nicht materialisierte. Gleichzeitig war der Verlust an realem Arbeitseinkommen in der Energiekrise deutlich ausgeprägter als während der Covid-19-Krise und der Finanzkrise in Deutschland. In Zahlen ausgedrückt, belaufen sich die 4 Prozent BIP-Verlust während der Energiekrise immer noch auf sagenhafte 150 Milliarden Euro – ohne die Einrechnung etwaiger Langzeiteffekte.

In einem zukünftigen resilienten Energiesystem sollten derartige Verluste nicht mehr vorkommen. Nach Ansicht von Tom Krebs seien dafür zwei Säulen unerlässlich. Zum einen müsse das hauptsächlich auf Strom aus erneuerbaren Energiequellen basierende künftige Energiesystem mit einem hohen Maß an Speicherkapazitäten ausgestattet werden, um Zeiten mit wenig Wind und Sonne und somit einen möglichen Angebotsschock auszugleichen. Krebs wies darauf hin, dass die Investitionskosten für derartige Kapazitäten aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kaum mit den Verlusten der aktuellen Energiekrise vergleichbar seien. Selbst wenn man die notwendigen Speicherkapazitäten konservativ berechne, wie es z.B. Hans-Werner Sinn (2017) getan hat, würden sich die Investitionskosten auf 20-40 Milliarden Euro belaufen – ein Bruchteil der 150 Milliarden Verluste, die während der Krise entstanden sind. Eine naheliegende Möglichkeit, die nötigen Speicherkapazitäten zu erreichen, könnte in Form von Wasserstoffkraftwerken erfolgen, die nur bei Bedarf hochgefahren werden.

"Aus makroökonomischer und sozialer Sicht brauchen wir diese Kapazitäten, aber der Markt wird sie nicht automatisch bereitstellen. Der Staat spielt eine wichtige Rolle".
Tom Krebs

Die zweite Säule sollte laut Krebs daher eine staatliche Absicherung gegen künftige Preisrisiken für Erzeuger erneuerbarer Energien sein, um den Aufbau eines resilienten erneuerbaren Energiesystems zu beschleunigen.

Achim Wambach und Frauke Thies waren sich ebenfalls einig, dass die Auswirkungen der Krise erheblich waren und dass ein zukünftiges erneuerbares Energiesystem nur mit ausreichend Speicher und Wasserstoffkraftwerken funktionieren könne. Achim Wambach warnte, dass es in der Marktwirtschaft derzeit keine Möglichkeit gäbe, den Aufbau dieser Speicherkapazitäten zu finanzieren. Er betonte außerdem, dass das deutsche System mehr Flexibilität auf der Nachfrageseite benötige.

„Es gibt viele Marktversagen im Energiesystem. Der Bau von Wasserstoffkraftwerken ist nur ein Schritt. Wir sollten Anreize für Investoren und Industrie schaffen, flexibler zu werden. Außerdem fehlen uns Smart Metering und regionale Energiepreise.“
Achim Wambach

Frauke Thies verwies auf die Notwendigkeit, den Wandel massiv zu beschleunigen: Um die Klimaziele zu erreichen, müsste sich die Ausbaugeschwindigkeit für Offshore-Wind in Europa verdreifachen, für Solar- und Onshore-Wind sogar vervierfachen. Gleichzeitig habe die Inflation die Zahlungslücke vergrößert. Und vor allem müsse die derzeit oft regressive Klimapolitik in eine fortschrittliche, sozialverträgliche Politik umgewandelt werden, insbesondere im Gebäudesektor. Künftig werde die Produktion in Deutschland teurer sein als in Ländern mit hohen Produktionskapazitäten für erneuerbare Energien. Laut Thies sollten daher auch die Auswirkungen des Endes der Ära des billigen Gases auf die Lieferketten und den Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.

Angesichts der Klimaziele und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs müssen wir in Deutschland und Europa künftig deutlich weniger mit fossilen Brennstoffen produzieren. Welche Industrie wird uns erhalten bleiben? Werden wir in Deutschland klimaneutrale produzieren und brauchen wir eine Industriepolitik, die Unternehmen und Menschen dabei hilft, dorthin zu gelangen, oder verlassen wir uns allein auf den Markt? Dies bleiben entscheidende Fragen für die nahe Zukunft.

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