NEUES LEITMOTIV

The Berlin Summit 2025: How to frame effective industrial policies – Lessons from regions

Beim diesjährigen Berlin Summit diskutierten führende Expertinnen und Experten aktuelle Erfahrungen mit Industriepolitik in Europa und den USA und leiteten daraus zentrale Lehren für die Entwicklung wirksamer industriepolitischer Strategien ab.

VON

FORUM NEW ECONOMY

VERÖFFENTLICHT

19. JUNI 2025

Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen und tiefgreifender Transformationsprozesse ist Industriepolitik wieder ins Zentrum wirtschaftspolitischer Debatten gerückt. Während die grundsätzliche Notwendigkeit staatlicher Eingriffe inzwischen weitgehend anerkannt ist, bleibt die Frage, wie Industriepolitik konkret gestaltet, gesteuert und evaluiert werden sollte, weiterhin umstritten. In einer Zeit, in der Regierungen in Europa und darüber hinaus ihre industriepolitischen Ambitionen ausweiten – und die öffentlichen Ausgaben entsprechend steigen – wird es zunehmend dringlich, Klarheit über wirksame Ansätze und Best Practices zu gewinnen. Der Berlin Summit bot einen Rahmen, um jüngste Erfahrungen in Europa und den USA zu reflektieren und Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Eine zentrale Erkenntnis der Diskussion war: Industriepolitik ist ein Balanceakt. Sie muss die Transformation bestehender Sektoren fördern, in Zukunftstechnologien investieren und gleichzeitig verhindern, dass überholte oder nicht zukunftsfähige Modelle zementiert werden. Dies erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch einen breiten politischen Konsens über die industriepolitischen Zielsetzungen. Die Einbindung relevanter Stakeholder – von Unternehmens- und Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern bis hin zur Zivilgesellschaft – wurde als entscheidend für Legitimität und langfristiges Engagement betont. Ebenso wichtig ist es, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken, dass die Transformation konkrete Vorteile bringt. In diesem Zusammenhang wurde die Regionalpolitik als zentraler Hebel hervorgehoben: Industriepolitik muss in lokalen Realitäten verankert sein, nicht nur auf nationale Ziele ausgerichtet – nur dann wird sie von den betroffenen Gemeinschaften akzeptiert und getragen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auf dem inhärenten Risiko industriepolitischer Maßnahmen. Nicht jedes Projekt wird erfolgreich sein – einzelne Misserfolge sind unvermeidlich und gewissermaßen „Teil des Spiels“. Entscheidend ist, wie mit diesen Risiken umgegangen und darüber kommuniziert wird. Ein überzeugendes, datenbasiertes Narrativ wurde als unerlässlich angesehen, um das öffentliche Vertrauen zu erhalten. Auch die Rolle internationaler Partnerschaften wurde diskutiert: Während Kooperationen mit global führenden Unternehmen – etwa aus Taiwan (Halbleiter), China oder Südkorea (Batterien) – Lernprozesse beschleunigen und Risiken reduzieren können, führen sie nicht automatisch zu Wissenstransfer. Die entscheidende Frage ist, wie solche Partnerschaften gestaltet werden müssen, um gegenseitigen Nutzen und strategische Kohärenz zu gewährleisten.

Ein wiederkehrendes Thema war die Notwendigkeit, Evaluierung systematisch in den gesamten Politikzyklus zu integrieren. Allzu oft werde sie als nachgelagerte, formale Übung verstanden – insbesondere bei Prestigeprojekten. Stattdessen sprachen sich die Teilnehmenden für ein kohärentes Evaluierungskonzept aus, das Ex-ante-Kosten-Nutzen-Analysen, Zwischenbewertungen und Ex-post-Evaluationen bereits in der Entwurfsphase der Politik berücksichtigt.

Ein weiterer zentraler Punkt war das Verständnis von Industriepolitik als ein Instrumentenportfolio – bestehend aus kostspieligen und ressourcenschonenderen Maßnahmen –, das klug aufeinander abgestimmt werden muss. Während großvolumige Subventionen und Leuchtturmprojekte oft die mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, erfordern viele wirksame Maßnahmen – wie innovationsorientierte öffentliche Beschaffung, regulatorische Koordination oder die Förderung regionaler Innovationsökosysteme – deutlich weniger finanzielle Mittel. Richtig eingesetzt, können sie jedoch erhebliche Wirkung entfalten. Ihre strategische Verzahnung erfordert jedoch institutionelle Kapazitäten und eine belastbare Governance-Struktur. Vertikale Eingriffe in spezifische Branchen oder Unternehmen gelten als besonders kostenintensiv und risikobehaftet, können aber in bestimmten Fällen gerechtfertigt sein – sollten jedoch durch horizontale Maßnahmen ergänzt werden, um Marktverzerrungen zu vermeiden und langfristige Dynamik zu sichern.

Als vielleicht größte Herausforderung wurde die Koordination identifiziert – zwischen Ministerien, Regierungsebenen sowie zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. Die Komplexität multilateraler Governance-Strukturen, etwa in föderalen Systemen oder innerhalb der EU, wurde gleichermaßen als Stärke und als Reibungsfläche beschrieben. Ohne klare Zuständigkeiten, gemeinsame Ziele und institutionelle Kapazitäten droht selbst gut konzipierte Politik an der Umsetzung zu scheitern. Ein besonders pointierter Beitrag plädierte dafür, die Rolle strategischer Planung neu zu denken. Wenn man die Industriepolitik als zentrales Instrument für die Bewältigung komplexer Herausforderungen – wie Dekarbonisierung oder technologische Souveränität – versteht, braucht es eine gezielte, ressortübergreifende Koordination. Gemeint ist damit keine Rückkehr zur zentralen Steuerung, sondern eine demokratisch legitimierte, strategisch ausgerichtete Planung, die Industrie-, Klima-, Innovations- und Wettbewerbspolitik in einem kohärenten Rahmen zusammenführt.

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