NEUES LEITMOTIV

The Berlin Summit 2025: Big Tech And European Sovereignty

Während der Diskussion zu Europas digitaler Souveränität auf dem Berlin Summit 2025 bestand Einigkeit darüber, dass diese nicht allein durch Regulierung gesichert werde sondern den gezielten Aufbau eigener technologischer Infrastrukturen erfordere. Um Pfadabhängigkeiten und dauerhafte Abhängigkeit von globalen Plattformen zu vermeiden, sei eine koordinierte europäische Anstrengungen nötig.

VON

FORUM NEW ECONOMY

VERÖFFENTLICHT

20. JUNI 2025

Vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen, wachsender technologischer Abhängigkeiten und tiefgreifender Umbrüche stand die Rolle großer Technologieunternehmen („Big Tech“) im Zentrum der Diskussion. Dabei ging es um die strukturelle Marktmacht global agierender Konzerne, die Verwischung der Grenzen zwischen wirtschaftlicher und politischer Steuerung sowie die strategischen Handlungsoptionen Europas im digitalen Zeitalter.

Ein zentraler Ausgangspunkt war die Feststellung, dass europäische Staaten in einer Vielzahl von technologischen Infrastrukturen – von Cloud-Diensten über sozialen Medien bis hin zu generativer Künstlicher Intelligenz – in hohem Maße von Unternehmen aus den USA und China abhängig sind. Diese Konzerne verfügen nicht nur über marktbeherrschende Stellungen in ihren Kerngeschäften, sondern kontrollieren auch zunehmend die zugrunde liegenden digitalen Infrastrukturen und Innovationsnetzwerke. Die daraus resultierende strukturelle Macht geht dabei weit über Eigentum hinaus: Sie beruht auf der Fähigkeit zur Kontrolle über Produktionsketten, Forschungsagenden und Datenströme.

Ein zentrales Argument der Diskussion war, dass Big Tech nicht nur Märkte dominiert, sondern zunehmend auch governance-funktionen übernimmt. Zunehmend erlangen die betreffenden Unternehmen über die Fähigkeit, Regeln zu setzen und Ressourcen zu kontrollieren, wodurch staatliche Souveränität in Kernbereichen wie Bildung, Gesundheit, Verwaltung oder Sicherheit infrage gestellt wird. Gerade mit dem Aufstieg generativer KI verschärft sich diese Entwicklung, da immer mehr gesellschaftliche Funktionen automatisiert oder algorithmisch vermittelt werden. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der „Infrastrukturmacht“ von Big Tech. Cloud-Plattformen etwa fungieren als digitale Territorien, in denen digitale Dienste entwickelt, vertrieben und konsumiert werden. Da diese Plattformen nicht nur eigene Produkte vertreiben, sondern auch Drittanbieter kontrollieren, entsteht ein dichtes Abhängigkeitsgeflecht – sowohl für Start-ups als auch für etablierte Unternehmen und staatliche Institutionen. Europäische Firmen, so wurde betont, agieren zunehmend innerhalb dieser Ökosysteme und sind damit strukturell eingebunden in ein Machtgefüge, das sie selbst nicht kontrollieren.

Die politische Reaktion darauf verläuft bisher ambivalent. Einerseits wurden in Europa mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act bedeutende regulatorische Instrumente geschaffen. Andererseits fehlt es bislang an der Fähigkeit, eigene technologische Alternativen strategisch und nachhaltig aufzubauen. Zwar existieren vielversprechende Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Europa, doch werden sie kaum systematisch skaliert oder strategisch gesteuert. Kritik wurde insbesondere an überambitionierten Top-down-Initiativen geäußert, denen es an konkreter Umsetzung und langfristiger Nachfrage fehlt.

In der Diskussion wurden unterschiedliche Lösungsansätze aufgezeigt. Während einige Stimmen auf die kurzfristige Notwendigkeit verwiesen, mit den bestehenden Tech-Anbietern zusammenzuarbeiten („Second-best world“), wurde gleichzeitig betont, dass strategische Alternativen aufgebaut werden müssen. Dazu gehören öffentliche digitale Infrastrukturen, offene Plattformen und gezielte Innovationsförderung im Bereich sozial und ökologisch verträglicher Technologien. Ein zentraler Hebel sei hierbei die öffentliche Beschaffung: Nur wenn der Staat als institutioneller Nachfrager auftritt, könnten alternative Strukturen entstehen.

Die Diskussion reflektierte auch die kulturelle Dimension der digitalen Transformation. So wurde hervorgehoben, dass die Nutzung digitaler Plattformen stark von individueller Praxis geprägt ist – Nutzerinnen und Nutzer greifen freiwillig auf Angebote zurück, die gleichzeitig ihre Abhängigkeit verstärken. Dieses Spannungsverhältnis erschwert die Regulierung, da Eingriffe in die algorithmische Steuerung oder Inhaltsmoderation schnell als Zensur wahrgenommen werden können.

Abschließend wurde auf globale Dynamiken verwiesen: Die USA treiben die Verbreitung digitaler Währungen und die Deregulierung digitaler Märkte gezielt voran, während China mit offenen Technologiestandards geopolitischen Einfluss aufbaut. Europa befindet sich in einem strukturellen Nachteil – nicht zuletzt aufgrund fragmentierter Märkte, fehlender Skaleneffekte und institutioneller Trägheit. Die Herausforderung besteht daher nicht nur in der technologischen Aufholjagd, sondern in der politischen Klärung, wer innerhalb Europas strategische Entscheidungen trifft und umsetzt.

Die Diskussion machte deutlich: Digitale Souveränität ist mehr als ein technologisches Ziel – sie ist ein gesellschaftliches Projekt, das neue Formen der Kooperation zwischen Staaten, Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft erfordert. Ohne solche Allianzen droht Europa, dauerhaft in der Abhängigkeit globaler Plattformen zu verharren.

Interview mit Cecilia Rikap

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