DER STAAT

Die große Consulting Show - Wie die Beratungsbranche den Staat schwächt

Staaten vergeben immer wichtigere Aufgaben an Berater, kritisiert Mariana Mazzucato in ihrem Buch 'Die große Consulting Show'. Erodieren sie die Fähigkeiten des Staates von innen? Darüber hat sie in unserem New Economy Short Cut mit Zeit-Journalistin Petra Pinzler diskutiert.

VON

SONJA HENNEN

VERÖFFENTLICHT

13. JULI 2023

LESEDAUER

4 MIN

Es ist zur gängigen Praxis geworden, dass private Unternehmensberater von Ministerien beauftragt werden. In ihrem neuen Buch ‚Die große Consulting Show, verfasst gemeinsam mit ihrer Doktorandin Rosie Collington, kritisiert IIPP-Ökonomin Mariana Mazzucato, dass das Beratertum den Staat sukzessive von innen schwäche. Wir haben Mariana Mazzucato eingeladen, ihre Kritik und mögliche Alternativen in unserem New Economy Short Cut Format mit der Zeit-Journalistin Petra Pinzler zu diskutieren.

‚Die große Consulting Show‘ ist ein Warnsignal

Wenn Sie aufhören zu trainieren, schrumpfen Ihre Muskeln, und Ihre Ausdauer nimmt ab. Wenn jemand Sie auffordern würde, einen Marathon zu laufen, würden Sie wahrscheinlich scheitern. Bei einer Regierung ist das nicht so viel anders. Wenn sie ihren Wissenbildungsprozess auslagert, schrumpfen ihre Fähigkeiten. Sie ist dann immer weniger in der Lage, Herausforderungen zu bewältigen. Mit dieser Warnung begann Mariana Mazzucato ihr Gespräch mit Petra Pinzler.

‚Die große Consulting Show‘ ist nicht das erste Buch, das Mazzucato geschrieben hat. Sie ist bekannt für ihr Konzept der ‚purpose-oriented‘ Politikgestaltung und ihr Plädoyer für eine zielorientierte Beziehung zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Das Neue an ‚Die große Consulting Show‘ ist das tiefe Eintauchen in die ideologische Verengung, die zur Erosion staatlicher Kapazitäten geführt hat, und die Art und Weise, wie die Beratungsindustrie von dieser Entwicklung profitiert und sie beschleunigt hat.

„Wir haben den Staat untertheoretisiert – ihn als Ermöglicher, als Fixierer des Marktes abgetan. Und wir haben unsere Vision darauf beschränkt, dass der Staat den privaten Sektor, den ‚eigentlichen‘ Akteur in der Wirtschaft, entlastet.“

Im Gespräch mit Petra Pinzler betont Mariana Mazzucato, dass diese Entwicklung allgemeine wirtschaftliche Trends und Paradigmen widerspiegelt. Heute ist die ‚Consultification‘ so weit fortgeschritten, dass der Staat nicht einmal mehr in der Lage ist, geeignete Partner zu identifizieren. Anstatt mit Institutionen und Akteuren zusammenzuarbeiten, die Spitzenforschung betreiben, entscheiden sich Regierungen für Beratungsunternehmen, die wenig oder gar nichts von den Themen verstehen, zu denen sie beraten sollen. Mazzucato und Collington bezeichnen dies in ihrem Buch als „Infantilisierung“.

Das Problem der Transparenz

Mazzucato warnte auch vor der mangelnden Transparenz des Geschäftsmodells und der Aktivitäten der Beratungsbranche. Während Berater früher Regierungen nur am Rande beraten hätten, beeinflussten und kontrollierten sie heute in vielen Ländern die Regierungsgeschäfte. Es hat sich ein undurchsichtiges Vertragssystem entwickelt, das die Frage der Rechenschaftspflicht erschwert und die Macht zunehmend in den Händen der Berater konzentriert. In einigen Fällen führt dies zu absurden Konstellationen. Wie in Südafrika, wo ein und derselbe Berater sowohl ESCOM, den wichtigsten Stromversorger, als auch das Ministerium berät, das ESCOM kontrollieren soll.

„Die Beraterbranche befindet sich in einem klaren Interessenkonflikt. Sie wird angeheuert, um Regierungen effizienter zu machen, während es gleichzeitig ihr Ziel ist, sie unmündig zu halten, um Folgeaufträge zu erhalten“.

In Australien, so Mazzucato, hatte McKinsey den Auftrag, die Kosten für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft zu schätzen. Das Ergebnis der Beratung war, dass die Nachfrage nach grüner Energie bei weitem unterschätzt und die Kosten für ihre Bereitstellung überschätzt wurden. Während McKinsey die Regierung beriet, hatte das Unternehmen laufende Verträge mit 43 der größten Umweltverschmutzer Australiens.

Die Industrie verändern

Mazzucato zufolge hat die marktorientierte Denkweise unsere Fähigkeit eingeschränkt, öffentliche Wertschöpfung zu verstehen und zu messen. Da die Wertschöpfung der öffentlichen Hand über die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen hinausgehe, sei es unzureichend, die Auswirkungen staatlichen Handelns mit einem einfachen Kosten-Nutzen-Denken zu messen. Im Gespräch schlug Mariana Mazzucato vor, Beispiele öffentlicher Wertschöpfung in einer weltweiten Datenbank zu sammeln, um zu analysieren, was funktioniert und was nicht.

Zwei solcher Beispiele nannte sie uns direkt. In Chile hat die Regierung mit Govlabs einen sicheren Raum für die Erprobung und Entwicklung von Innovationen eingerichtet, und in Deutschland gibt es jetzt die PD, eine interne Beratungsgesellschaft, deren Renditen gedeckelt sind und die höhere Rechenschaftsstandards erfüllen muss als externe Berater. „Eine Investition in die Struktur des Staates“, argumentiert Mazzucato.

Wir brauchen mehr davon, so die Quintessenz des Gesprächs zwischen Mazzucato und Pinzler. Mehr öffentliches Risikokapitaldenken, mehr Investitionen in qualifiziertes Personal, weniger Bürokratie, mehr kollektive Intelligenz und mehr öffentliche Wertschöpfung.

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Jahrzehnte lang galt der Konsens, dass sich der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen und man die Staatsschulden senken sollte, um den Wohlstand zu fördern. Dies hat jedoch zu chronischen Mängeln in Bildung und Infrastruktur geführt. Neuere Forschung versucht zu erörtern, wann es sinnvoll ist, dass sich der Staat in den Wirtschaftsprozess einmischt, um langanhaltenden Wohlstand zu garantieren und Krisen zu verhindern.

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