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ReLive: Schulden für Deutschland – Was taugt das schwarz-rot-grüne Finanzpaket? 

Am Vorabend der Bundestagsabstimmung diskutierten wir mit Katharina Beck, Philippa Sigl-Glöckner, Sebastian Dullien, Armin Steinbach und Mark Schieritz über das geplante Finanzpaket und die Verfassungsänderung.

VON

DAVID KLÄFFLING

VERÖFFENTLICHT

18. MÄRZ 2025

LESEDAUER

5 MIN

Der Bundestag hat heute eine weitreichende Änderung der Schuldenbremse im Grundgesetz beschlossen. Diese Reform ermöglicht es, bestimmte Verteidigungsausgaben sowie Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz von der Schuldenregel auszunehmen. Zudem erhalten die Bundesländer mehr fiskalischen Spielraum bei der Haushaltsaufstellung.

Gestern Abend haben wir im Rahmen des New Economy Short Cut-Formats die Auswirkungen der Grundgesetzänderung mit einer Expertenrunde diskutiert. Mit dabei waren Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Philippa Sigl-Glöckner, Direktorin beim Dezernat Zukunft, Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), und Armin Steinbach, Professor für Öffentliches Recht und Ökonomik an der HEC Paris, vormals Bundesfinanzministerium. Moderiert hat Mark Schieritz, stellvertretender Ressortleiter Politik, Die Zeit.

Die drei zentralen Elemente der Reform

1. Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen
Künftig werden Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP nicht mehr auf die Schuldenbremse angerechnet. Dies umfasst auch Katastrophenschutz und Militärhilfen für die Ukraine. Besonders bemerkenswert: Diese Ausnahme ist zeitlich unbegrenzt – ein Novum in der deutschen Haushaltsgeschichte.

2. Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz
Ein großer Teil der neuen Regelung betrifft die Finanzierung von Infrastrukturprojekten und Klimaschutzmaßnahmen. Das Sondervermögen verteilt sich wie folgt:

  • 100 Milliarden Euro für die Bundesländer
  • 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds
  • Der verbleibende Betrag soll in „zusätzliche“ Infrastrukturinvestitionen fließen, definiert als Investitionen, die 10 % über dem bisherigen Investitionsniveau liegen.

3. Fiskalischer Spielraum für die Bundesländer
Die Länder erhalten künftig die Möglichkeit, ein strukturelles Defizit von 0,35 % des BIP auszuweisen.

Allgemein wurde das Vorhaben begrüßt, da es dadurch einen funktionierenden Bundeshaushalt gibt, der die Geschäftsgrundlage für die neue Bundesregierung darstellt, und wichtige Investitionen in die deutsche und europäische Sicherheit (und Infrastruktur) getätigt werden können.

Was ich kritischer sehe, es ist super komplex. Ich finde, dass solche Sachen überhaupt gar nicht ins Grundgesetz gehören. Wir werden in der Zukunft Haushaltsplanung nicht danach machen, was sinnvoll ist, sondern die Hütchen so navigieren, dass möglichst viel Geld rauskommt... Meine Hoffnung wäre, dass man nicht nur nach Regeln optimiert, sondern möglichst sinnvoll und effizient.
Philippa Sigl-Glöckner, Dezernat Zukunft

Katharina Beck betonte, dass eine Einigung zur Reform der Schuldenbremse auch trotz ihrer Imperfektionen entscheidend war. So seien etwa das Zusätzlichkeitskriterium und die Ausweitung des breiten Sicherheitsbegriffs gegenläufig, aber als Teil des Kompromisses zu verstehen.

Man hätte bis Sonntag weiterverhandeln können. Aber dadurch wäre dieses sowieso schon fragwürdige Verfahren, verfassungsrechtlich schwieriger geworden. Uns geht es um die Sicherheit Europas. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Putin sich nicht ausrechnen kann, wann ein Sondervermögen ausgeschöpft ist.
Katharina Beck (Finanzpolitische Sprecherin, Bündnis 90/Die Grünen)

Sebastian Dullien betonte den positiven Wachstumsimpuls, der durch die zusätzlichen Investitionen ausgehen würde. Das sei eine Chance auf ein dauerhaftes Ende der wirtschaftlichen Stagnation. Das IMK prognostiziert daher für das kommende Jahr einen positiven Effekt auf das Wachstum, auch trotz Trump-Zöllen. Zwei Fragen seien entscheidend für die Folgen der Reform. Erstens, können wir es uns leisten? Also ist die Staatsschuldentragfähigkeit gewährleistet? Und zweitens, können wir es umsetzen? Heißt: Kann das zusätzliche Geld vom System überhaupt aufgenommen werden, ohne dass lediglich die Preise steigen? Laut Dullien wäre beides möglich.

Allerdings waren sich alle einig, dass die EU-Schuldenregeln (als die ‚vergessene Bremse‘) jetzt die entscheidende Einschränkungen darstellen. Laut der IMK-Prognose würden die Defizite über 3% steigen, was nach dem Excessive Deficit Procedure überhaupt kein Spielraum ermöglichen würde. Kurzfristig könnte eine potenzielle Anpassung der EU-Regeln in Bezug auf Verteidigungsausgaben zusätzliche Verschuldung ermöglichen.

Laut Armin Steinbach ist deshalb der eigentliche Flaschenhals das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz. Außerdem betonte er, dass ein deutscher Sonderweg mit politischen Kosten gegenüber den europäischen Partnern einhergehen würde. Daher sollte laut Steinbach die Verteidigung als gemeinschaftliches Projekt europäisch und nicht national organisiert werden.

Einerseits ist es natürlich wieder Harakiri, was da in der Verfassung gemacht wird. Mit Fremdkörpern angereichert, das war ja früher schon atypisch für eine Verfassung, die grundlegenden Spielregeln mit Begriffen wie Konjunkturkomponente zu traktieren. Das passt nicht ins System, aber man muss damit leben. Viel Musik spielt natürlich in der Gesetzesbegründung, da steht beispielsweise die Investitionsquote oder weitere Definitionen drin. Deshalb hängt viel davon ab, wie das jetzt gesetzlich umgesetzt wird.
Armin Steinbach, Professor für Öffentliches Recht und Ökonomik an der HEC Paris

In der Diskussion wurde noch die Debatte zur angebotsseitigen Kapazitätsgrenze aufgegriffen, also ob ein Zielkonflikt bei der Verwendung von realen (nicht finanziellen) Ressourcen für Verteidigung vs. Infrastruktur bestehen würde. Sebastian Dullien und Philippa Sigl-Glöckner argumentierten, dass das Produktionspotenzial groß genug sei, um beide Ziele erfüllen zu können. Insbesondere wenn bisher ungenutzte Potenziale (z.B. von Frauen in Teilzeit, die gerne mehr arbeiten würden) ausgeschöpft würden.

Zudem wurde Katharina Beck gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, eine grundlegende Reform der Schuldenbremse im neuen Bundestag zu verabschieden.

Politisch sind wir jetzt da gelandet: eine Reform für Verteidigung und ein umfangreiches Sondervermögen für Infrastruktur. Da war uns jetzt die Kurzfristigkeit auch in Bezug auf die Ukraine wichtiger, auch wenn ich es sauberer gefunden hätte, wenn man im Grundgesetz nicht so viel rumgeschrieben hätte.
Katharina Beck (Finanzpolitische Sprecherin, Bündnis 90/Die Grünen)

Die ganze Diskussion hier zum Nachschauen

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