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der New-Economy-Ticker
Aktuelle Nachrichten, Debatten, Vorschläge und Entwicklungen zum neuen ökonomischen Denken auf einen Blick.
In einem Meinungskommentar fordert der ehemalige Bundesinnenminister (1978-1982) Gerhart Baum (FDP), dass die Liberalen ihr Misstrauen gegenüber staatlichen Eingriffen überwinden müssten. Er spricht sich für ein aktualisiertes Freiheitsverständnis aus, das Verantwortung einschließe.
Baum hofft auf die Wiederbelebung des „sozialen Liberalismus“, der die programmatische Ausrichtung der FDP in den 70er Jahren bestimmte. Mit der Ampelkoalition sei die richtige Zeit für eine liberale Neuausrichtung gekommen. Denn, so Baum: „Sozial, ökologisch und liberal, das ist eine gute Mischung.“
Der Autor nennt insbesondere zwei Anwendungsbereiche, in dem ein Paradigmenwechsel notwendig sei. Erstens, den Umweltschutz, den die FDP lange als freiheitseinschränkenden Wachstumskiller vernachlässigt hätte. Zweitens, die soziale Dimension. Im Zentrum liberaler Politik solle der Mensch und seine Selbstverwirklichung stehen – verknüpft mit gesellschaftlicher Verantwortung und dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit.
Der vollständige Handelsblatt-Artikel ist (hinter einer Paywall) hier nachzulesen.
In einem kürzlich veröffentlichten Artikel beschreibt Jens van ‚t Klooster die Fiskal- und Geldpolitik der Europäischen Union seit 2008. Er spricht von einem wirklichen Paradigmenwechsel unter Zentralbankern und EU-Technokraten. Das neue Paradigma könnte Technokratischer Keynesianismus genannt werden, bei dem Entscheidungsträger von Ideen Minskys oder Keynes‘ beeinflusst versuchen die Macht des Kapitals zu begrenzen.
Diese Policy-Entscheidungen werden durch sogenannte strategische Ambiguität umgesetzt: monetäre Staatsfinanzierung und grüne Kreditrichtlinien werden mit ehemals hegemonialen marktliberalen Ideen gerechtfertigt, in dem Fall mit Preisstabilität bzw. Finanzierungsrisikos. Kontinuität wird suggeriert und die Einbindung der Legislative minimiert. Ähnlich wie dem Prozess der europäischen Integration lässt sich hier von einem Paradigmenwechsel durch die Hintertür sprechen.
Der vollständige Artikel ist frei verfügbar und ist hier abrufbar.
In einem kürzlich erschienenen Artikel griff die Financial Times einige der Ideen zur Finanzierung von Investitionen unter Einhaltung der Schuldenbremse auf, die unter Mitarbeit des Forums entstanden sind und auch Eingang in den Koalitionsvertrag der Ampel gefunden haben. Wörtlich heißt es in dem Artikel, dass „die neue Koalition ein Sammelsurium von Plänen hat, um Mittel zu beschaffen, ohne die verfassungsmäßige Obergrenze für die Neuverschuldung zu verletzen.“
Explizit wird dabei auf die Vorschläge von Krebs, Graichen und Steitz (2021) und vom Dezernat Zukunft (2021) verwiesen.
Wohl kaum eine Studie ist in dem Kontext von Staatsschulden und Wachstum so berühmt, wie die 2010 veröffentlichte Untersuchung von Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart Growth in a Time of Debt. Die Autoren fanden heraus, dass hohe Schulden ab einem Schuldenstand von 90% des BIP wirtschaftliches Wachstum behindern. Die Studie entfaltete ihre politische Durchschlagskraft vor allem in der Eurokrise, wo sie immer wieder als Argument für die Austeritätsvertreter diente.
In der wissenschaftlichen Debatte geriet die Studie jedoch schnell in die Kritik. Der Doktorand Thomas Herndon konnte zeigen, dass die Analyse durch Excel-Fehler verzerrt war. Heißt das also, es gibt keinen Zusammenhang zwischen Schulden und Wachstum? Oder etwa doch?
In einer Meta-Analyse, der 50 ökonomische Artikel zugrunde liegen, untersucht Philipp Heimberger den aktuellen Forschungsstand zu der Frage. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der ungewichtete Durchschnittswert zwar einen negativen Zusammenhang zwischen Schulden und Wachstum aufweist. Dieser verschwindet aber, sobald man für die Verzerrung von veröffentlichten Studien (Publication Bias) kontrolliert. Auch die Existenz eines magischen Schuldenstandes, ab dem das Wachstum gehemmt wird, wird zurückgewiesen.
Die ganze Studie kann man hier nachlesen.
Eine kürzere Version gibt es als Artikel hier nachlesen.
Der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung ist veröffentlicht. Beginnt damit etwas ganz Neues, womöglich sogar ein neues wirtschaftliches Paradigma? Eine Politik, die den Wunsch nach Wohlstand umsetzt, und sich dabei gleichzeitig der Klimarettung verpflichtet, die finanzpolitische Spielräume schafft, wo zuvor keine waren? Einen Auszug der unterschiedlichen Meinungen zum Neuheitsgrad der Vorschläge der neuen Regierung – und dem Potential für einen Paradigmenwechsel – gibt es hier.
Bei der Financial Times ist man sich sicher – der Koalitionsvertrag der Ampelregierung markiert einen bedeutenden politischen Richtungswechsel. Als zentrales Aufbruchssignal zur Ära Merkel wertet das Editorial Board die geplante erleichterte Kreditaufnahme für Investitionen. Dazu gehören Sonderfonds außerhalb des Haupthaushalts, mehr Mittel für die KfW und eine Neubewertung der technischen Berechnungen der Fiskalregeln. Im Koalitionsvertrag sieht man das Versprechen auf Erneuerung, mit der Chance, dass nebst der deutschen Politik auch die Wirtschaft des Landes und Europa profitieren könnten.
Auch das Center for European Reform hält die im Koalitionsvertrag enthaltenen Investitionspläne für mutig und erwartet mehr fiskalischen Spielraum und Investitionen als unter der Vorgängerregierung. In der Umwidmung von Pandemie-Notfallmitteln sieht man Potential für einen europäischen Dominoeffekt, der auch andere Länder motivieren könnte, ein finanzielles Polster aus Notlage-Mittel für fiskalisch striktere Zeiten anzulegen. Auch traut das CER Deutschland zu, unter der neuen Regierung eine führende Rolle beim Klimaschutz einzunehmen.
Etwas verhaltener äußerte sich jüngst der Columbia-Professor Adam Tooze. Zwar sei es für eine abschließende Bewertung noch zu früh, doch Lindner als Finanzminister sei eine Bedrohung für alle progressiven Ambitionen der Regierung. Allerdings sei die deutsche Wirtschaft längst nicht mehr ihr altes konservatives Selbst, und die Regierung bereit, sich der Herausforderung des Klimawandels anzunehmen.