INNOVATION LAB
Wie eine Wirtschaft ohne Wachstum aussehen könnte
Tim Jackson stellte auf unserem zweiten Symposium seine Arbeit über Postwachstumsökonomik vor.
VON
MAREN BUCHHOLTZVERÖFFENTLICHT
2. SEPTEMBER 2022LESEDAUER
4 MIN.Zu Beginn erläuterte Tim Jackson, dass wir uns – abgesehen von der Frage, ob ein langsameres Wachstum wünschenswert ist – tatsächlich auf die Postwachstumsökonomie zubewegen. Jackson zufolge deuten einige Faktoren darauf hin, dass sich die Wirtschaft bereits verlangsamt, mit weitreichenden Folgen für die Güter-, Finanz- und Arbeitsmärkte. Wenn sich der rückläufige Trend bei der Arbeitsproduktivität fortsetzt, ist eine Rückkehr zum keynesianischen Konsens der Nachkriegszeit (Wachstum plus Umverteilung) keine Option.
Dennoch scheint die Postwachstums-Makroökonomik innerhalb der Wirtschaftswissenschaft bisher nur eine marginale Rolle zu spielen. Aus diesem Grund plädiert Jackson dafür, dass das Nachdenken über Wachstum mit einem Umdenken in der Wirtschaftswissenschaft beginnen muss. Anstatt die Wachstumsabhängigkeit als gegeben hinzunehmen, sollten Ökonomen Lösungen für die Überwindung dieser Herausforderung finden, indem sie systematisch untersuchen, wie Wachstumsabhängigkeit mit wirtschaftlicher und politischer Macht, Finanzen und sozialen Normen zusammenhängt. Dies sei nötig, um die Wirtschaftspolitik auf die langfristigen Auswirkungen des bereits rückläufigen Wachstums, insbesondere die zunehmende Ungleichheit, vorzubereiten. Darüber hinaus legte Jackson dar, dass unter bestimmten Bedingungen Kreditwachstum auch in einer stabilen Wirtschaft möglich wäre.
Am Beispiel des Arbeitsmarktes erläuterte er, wie die Grundlagen für wirtschaftliches Wohlergehen in einer Postwachstumsökonomie gelegt werden können. Hier könnte eine Lösung darin bestehen, gleichzeitig die emissionsintensiven Sektoren schnell zu dekarbonisieren und mehr in arbeitsintensive, dienstleistende Bereiche zu investieren wie etwa dem Gesundheits- und Pflegesektor, der aufgrund der demografischen Entwicklung eine immer größere Nachfrage erfahren wird. Maßnahmen, die den Trend zur ‚Finanzialisierung‘ und zum ‚Rent-Seeking‘ im Gesundheits- und Sozialwesen umkehren, würden zugleich Ungleichheit wirksam bekämpfen.
Jonathan Barth (ZOE Institute) stimmte zu, dass Ökonomen immer noch dazu neigen, sich vor der Neugestaltung der wirtschaftlichen Analyse und dem Überdenken ihrer Annahmen zu scheuen. Seiner Ansicht nach impliziert die Postwachstumsökonomie, dass wir ein neues Mittel brauchen, um die entscheidende materielle Grundlage für das gesellschaftliche Wohlergehen zu schaffen. Dabei könnte man die Besteuerung nicht nur der Ströme, sondern auch der Bestände in Betracht ziehen.
Katharina Beck (finanzpolitische Sprecherin Bündnis 90/ Die Grünen) betonte, dass die neuen Wohlstandsindikatoren im Jahreswirtschaftsbericht ein neues Postwachstums-Paradigma in der Politik andeuten. Darüber hinaus unterstrich sie den Wert einer differenzierten Wachstumsdebatte, die anerkennt, dass in bestimmten Zweigen Wachstum im Dienst einer grünen und sozial gerechten Transformation der Wirtschaft nötig ist.