NEUES LEITMOTIV
Newsletter: Vom Schuldenbremsen-Fetisch zur allgemeinen Reformfreude – Short Cut mit Achim Truger, Katja Rietzler, Peter Bofinger, Florian Schuster-Johnson am 11. Dezember
Aus unserer Forum New Economy Newsletter Reihe
VON
THOMAS FRICKEVERÖFFENTLICHT
6. DEZEMBER 2024LESEDAUER
4 MIN.Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen,
wer verstehen will, was gesellschaftliche Paradigmenwechsel sind, bekommt in Deutschland gerade Anschauungsunterricht. Zumindest wenn es um Schulden und Schuldenbremsen geht. Es ist kaum mehr als ein Jahr her, da galt als ausgemacht, dass die Schuldenbremse heilig ist und in den nächsten 100 Jahren nicht reformiert würde – und dass die Menschen das auch nicht wollen. Heute gibt es kaum noch eine einst orthodoxe Institution, die nicht – wie diese Woche selbst die Bundesbank – eine Reform befürwortet, um den enormen Bedarf an Ausgaben zu einem Teil auch über zusätzliche Kredite finanzieren zu können. Und die Unantastbarkeit ist zum Alleinstellungsmerkmal einer einzelnen kleinen Partei geschrumpft.
Der britische Ökonom Michael Jacobs hat für uns einmal analysiert, was es nach aller historischer Erfahrung für so einen paradigmatisch tiefgreifenden Wandel braucht. Dazu zählen: dass Wirklichkeit und Anspruch des alten Paradigmas zunehmend auseinanderklaffen; neue Ideen; Krisenmomente; politische Opportunitäten.
Dass eifriges Verfolgen technokratischer Schuldenregeln mehr Schaden anrichtet als nutzt, ist unter Ökonomen international schon seit vielen Jahren Konsens. Dass die Schuldenbremse nicht optimal ist, um das Land zukunftssicher zu machen, wurde auch in Deutschland schon vor längerem offenbar – nur noch nicht für alle. Der Krisenmoment kam mit jenem Karlsruher Urteil vom Herbst 2023, mit dem offenbar wurde, dass sich der Investitionsbedarf im Land durch Sparen nicht decken lässt. Und die politische Opportunität setzte ein, als CDU-Ministerpräsidenten zu spüren begannen, welche Katastrophe das Schuldenverbot auf Landesebene anzurichten droht.
Wie sich auch die Meinung in der Bevölkerung schon gewandelt hat, zeigen Umfragen, die wir in Teilen bereits veröffentlicht haben – und deren Details wir in Kürze präsentieren. Danach stimmt inzwischen eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland zu, dass es gut ist, Investitionen auch über weitere Kreditaufnahme zu finanzieren.
Was fehlt, ist ein Konsens darüber, wie genau die Reform aussehen sollte. Die Ideen gehen hier in alle Richtungen: mal Sondervermögen, mal technische Anpassungen. Wobei der Mangel an weiterreichenden Ideen nicht wundert, wenn so lange postuliert wurde, dass es auch in 100 Jahren ohnehin in Deutschland keine Reform geben würde. Eine Fehlprognose, die nur mit einem mangelnden Verständnis der Eigendynamik von Paradigmenwechseln zu erklären ist.
Den einen oder anderen Beitrag haben wir in den vergangenen Jahren zu leisten versucht – mit Studien, die wir zu möglichen Reformen der Schuldenbremse in Auftrag gegeben haben, zuletzt bei Tom Krebs. Am Mittwoch werden wir den Stand der Reformideen in unserem letzten New Economy Short Cut 2024 diskutieren: mit einem Input von Achim Truger, der den jüngsten Reformvorschlag des Sachverständigenrats vorstellen wird, und Beiträgen von Peter Bofinger, Petra Pinzler, Katja Rietzler (tbc) und anderen – eine Stunde digital, am 11. Dezember ab 16 Uhr.
Zur Dialektik von Paradigmenwechseln gehörte übrigens schon immer auch, dass es welche gibt, die entgegen dem, was sich aufdrängt, nochmal ganz weit zurück wollen. Womit wir beim libertären argentinischen Präsidenten Javier Milei und seinen Fans sind, die gerade nochmal zeigen wollen, dass alles besser würde, wenn man staatliche Leistungen einfach radikal kürzt – eine befremdliche Idee, wenn ein Großteil der Probleme ganz offenbar daher kommt, dass man zu viel auf Märkte und zu wenig auf vernünftige öffentliche Leistungen gezählt hat. Da hilft kein Weniger. Da hilft nur ein Besser.
Ein schönes Wochenende,
Thomas Fricke
Dieser Text stammt aus unserer zweiwöchig erscheinenden Newsletter-Reihe. Zur Anmeldung geht es hier.