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Re-live: New Economy Short Cut: Staatsschulden abbauen, aber wie?

Erfüllen Sparprogramme eigentlich ihren Sinn und Zweck, Staatsschulden abzubauen? Das haben wir mit IWF-Ökonom Adrian Peralta-Alva, Achim Truger und Philippa Sigl-Glöckner diskutiert.

VON

MAREN BUCHHOLTZ

VERÖFFENTLICHT

1. JUNI 2023

LESEDAUER

5 MIN

Erfüllen Sparprogramme eigentlich ihren Sinn und Zweck, Staatsschulden abzubauen? Was für Finanzminister Lindner eine klare Sache zu sein scheint, ist laut einem neuen Bericht des Internationalen Währungsfonds alles andere als eindeutig. Die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds haben für den jüngsten World Economic Outlook etliche Konsolidierungsversuche weltweit ausgewertet. Und das Ergebnis ist alles andere als klar. In der April-Ausgabe des World Economic Outlook heißt es, dass Haushaltskonsolidierungen im Mittel vernachlässigbare Auswirkungen auf Schuldenquoten haben – vor allem aufgrund negativer Wachstumseffekte.

Wir haben den Ko-Autor und IWF-Ökonomen Adrian Peralta-Alva eingeladen, darüber bei der Mai Ausgabe unseres New Economy Short Cut mit Achim Truger aus dem Sachverständigenrat und Philippa Sigl-Glöckner vom Dezernat Zukunft zu diskutieren.

Die Diskussion nachverfolgen

In vielen Ländern ist die öffentliche Verschuldung durch die Pandemie-Hilfen und durch schwaches Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren angestiegen. Vor diesem Hintergrund untersucht das dritte Kapitel des jüngsten World Economic Outlook  Politikmaßnahmen, die Staatsschulden effektiv und langfristig senken. Anders als die Hypothese der „expansiven Austerität“ vermuten lässt, ist eine einfache Erhöhung des Primärsaldos über einen längeren Zeitraum nicht der effektivste Weg, um die Schuldenquote (öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum BIP) zu senken, da Sparmaßnahmen insbesondere in Krisenzeiten das Wirtschaftswachstum hemmen. Die Analyse des IWF zeigt, dass die Haushaltskonsolidierung in den letzten vierzig Jahren die Schuldenquoten nicht wesentlich beeinflusst hat. Deshalb ist laut Adrian Peralta-Alva ein nuancierter Ansatz erforderlich, um die Schuldenquoten nachhaltig zu senken.   

  

"Um die Schuldenquote nachhaltig zu senken, sollten alle möglichen Optionen von Anfang an auf dem Tisch liegen. Es geht nicht nur um die Haushaltskonsolidierung, sondern auch darum, das Wirtschaftswachstum zu schützen sowie stabile staatliche Institutionen zu erhalten".
Adrian Peralta-Alva

Der stellvertretende Abteilungsleiter der IWF-Forschungsabteilung präsentierte die Ergebnisse des Berichts. Demnach sind Zeitpunkt und die Art der Haushaltskonsolidierung entscheidend für einen erfolgreichen Schuldenabbau. Die Analyse zeigt, dass wachstumsfördernde Maßnahmen eine wichtige Rolle für die Haushaltskonsolidierung spielen (so ist in der statistischen Auswertung die Erklärungskraft des BIP-Wachstums für das Verhalten der Verschuldung im Verhältnis zum BIP ist doppelt so stark wie die der Haushaltskonsolidierung). Der Bericht hebt hervor, dass die Konsolidierung in guten Zeiten produktiver ist, wenn der fiskalische Multiplikator niedrig ist. Eine Konsolidierung führt auch eher zu einer Verringerung der Verschuldung in Zeiten geringerer finanzieller Restriktionen sowie wenn der Schuldenstand bereits hoch ist und wenn die private Verschuldung niedrig ist. Darüber hinaus ist eine Verbesserung des Primärsaldos eher wachstumsfreundlich, wenn sie mit einer Senkung der Staatsausgaben einhergeht als wenn sie durch Steuererhöhungen erfolgt

Achim Truger (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) begrüßte die neue empirische Analyse des Gutachtens und unterstrich ihre Bedeutung für die europäische Debatte über finanzpolitische Regeln.   

  

"Die Ergebnisse des IWF bestätigen die Strategie der EU-Kommission zur Reform der Fiskalregeln, die darin besteht, die Konsolidierung nicht zu übertreiben, sondern länderspezifische Beispiele zu betrachten und Ausgabenpfade zu finden, die den Schuldenstand im Verhältnis zum BIP senken. (...) All diejenigen, die sich eine ehrgeizige Konsolidierung und jährliche Zielvorgaben wünschen, sind mit Ihren (IWF-)Erkenntnissen eindeutig nicht einverstanden. Ich hoffe, dass die fiskalischen Falken, die meinen, man könne ihnen feste jährliche Verschuldungsziele vorschreiben, endlich einsehen, dass das scheitern wird."
Achim Truger

Philippa Sigl-Glöckner (Dezernat Zukunft) wies darauf hin, dass viele europäische Länder auch unter den Maßnahmen der Schuldentragfähigkeitsanalyse im Vorschlag der EU-Kommission noch lange Zeit hohe Haushalsüberschüsse erzielen müssen. Gleichzeitig benötigen viele Länder mehr fiskalischen Spielraum, um ihre Volkswirtschaften in Richtung Klimaneutralität zu lenken. Die derzeitigen fiskalischen Indikatoren berücksichtigen nicht die makroökonomischen Auswirkungen der geforderten Emissionsbegrenzung. Daher schlug sie vor, über neue Indikatoren für die Schuldentragfähigkeit nachzudenken wie beispielsweise ein Indikator über die Netto-Null-Vermögensbestände in einer  klimaneutralen Wirtschaft, der etwas mehr über die Zukunftsfähigkeit aussagt als die Schuldenquote, die lediglich das Verhältnis vergangener Schulden zur Wirtschaftsleistung widerspiegelt.

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