DER STAAT
Re-live: Gutes Geld – eine Frage des politischen Willens? Mit Philippa Sigl-Glöckner und Stefan Kolev
Was macht eine gute Finanzpolitik aus, die im Dienst der Gesellschaft handelt? Und sind Schuldenregeln ökonomisch gut begründet? Dies diskutierten wir beim New Economy Short Cut.
VON
MAREN BUCHHOLTZVERÖFFENTLICHT
8. OKTOBER 2024LESEDAUER
3 MIN.Bedarf gibt es genug: ob in Kindergärten, klimafreundlichen Anlagen, Pflegeheimen oder Forschungszentren. Allein, es fehle am Geld, heißt es. Wirklich? Oder ist das doch eher eine Frage des politischen Willens? Und wie lässt sich bestimmen, was im Dienst der Gesellschaft gut wäre? Darüber sprachen wir in unserem New Economy Short Cut mit Philippa Sigl-Glöckner, die sich genau damit in ihrem gerade erschienenen Buch “Gutes Geld – Wege zu einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft” auseinandersetzt – und mit Stefan Kolev vom Ludwig-Erhard-Forum.
Durch das Vertrauen in starre, technokratisch festgelegte Schuldenregeln sei in der finanzpolitischen Diskussion die Fähigkeit verloren gegangen, mit politischen Zielsetzungen umzugehen, so Philippa Sigl-Glöckner. Um die Finanzpolitik wieder stärker in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, sei es nötig, das Wesen des Geldes als gesellschaftliche Institution zu verstehen. Geld sei nicht per se “gut” oder “schlecht”, sondern maßgeblich durch staatliche Entscheidungen beeinflusst. Zwar sei die Geldschöpfung in gewissen Grenzen zu halten, sollte sich aber grundsätzlich an politischen und gesellschaftlichen Zielen wie Freiheit und Chancengleichheit orientieren. Ihrer Auffassung nach bietet die deutsche Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form keinen ausreichenden Spielraum, um gesellschaftlich gewünschte Ziele (z.B. Klimaschutz, Bildung, Infrastrukturausbau) zu erreichen. Anhand der Maastricht-Kriterien zeigte Sigl-Glöckner auf, dass historische Dynamiken zu Verschuldungsregeln geführt haben, die nicht ökonomisch begründbar seien. So sei in den kürzlich veröffentlichten Protokollen zu den Maastricht-Verhandlungen ersichtlich, dass die maximale Schuldenquote (Staatsverschuldung/BIP) von 60% auf keinerlei wissenschaftlicher Erkenntnis beruhe und damals als reines Provisorium eingeführt wurde.
Aus der Sicht von Stefan Kolev erfolgte aus den historischen Aushandlungen der Maastricht-Kriterien eine gewisse Berechtigung. In seinem Kommentar unterstrich er die polit-ökonomischen Begründungen für strenge Fiskalregeln. Da Politiker mit Blick auf die Wählergunst im Regelfall die konsumtiven den investiven Ausgaben vorzügen, seien strikte Grenzen unabdingbar. Durch die Schuldenbremse steige der Druck, im Staatshaushalt Prioritäten zu setzen und somit eine effiziente Nutzung der Ressourcen und langfristige Investitionen zu gewährleisten.
Die Diskussion drehte sich um das Spannungsverhältnis zwischen strengen finanzpolitischen Regeln und der Flexibilität, die zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele erforderlich ist. Beide stimmen darin überein, dass es derzeit an Investitionen in Schlüsselbereichen der Wirtschaft fehle, waren sich aber darin uneinig, wie der öffentliche Finanzbedarf zu decken sei.
Als Alternative zur Schuldenbremse schlug Sigl-Glöckner kontextabhängige Fiskalregeln vor. Die Bundesregierung könnte dem Beispiel Neuseelands folgen und eine Schuldenregel aufstellen, die im politischen Prozess entschieden und deren Wirkung von einer unabhängigen wissenschaftlichen Institution überprüft werde. Dies würde mehr Transparenz schaffen und die demokratische Legitimation der Finanzpolitik erhöhen. Außerdem sei eine Investitionsregel wünschenswert, um die polit-ökonomischen Probleme staatlichen Handels einzugrenzen.
Kolev zeigte sich skeptisch bezüglich einer Reform der Schuldenbremse und der Einführung einer Investitionsregel. Seiner Meinung nach würde dies eine schier unlösbare Diskussion um den Investitionsbegriff auslösen und den Weg dazu frei machen, dass zukünftig konsumtive Ausgaben fälschlicherweise als Investition deklariert würden. Um den Finanzbedarf zu decken, riet er zu Strukturreformen in Anlehnung an die Sozialstaatsreformen in Skandinavien der 1990er Jahre.
„Wir haben einen großen Staat. Dieser Staat funktioniert nicht richtig. Aber er wird nicht richtiger funktionieren, wenn wir ihm noch mehr Verschuldungsmöglichkeiten geben.”
Sigl-Glöckner argumentierte, dass die Schuldenbremse nicht mehr zeitgemäß sei. Beispielsweise widerspreche das Konzept der „natürlichen Arbeitslosigkeit“, dass bei der Berechnung des Produktionspotentials die historische Frauenerwerbsquote zugrunde legt, dem gesellschaftlichen Ziel der Gleichstellung. Die Rolle der Politik sei es, die Haushaltsregeln an sich wandelnde gesellschaftliche Zielsetzungen anzupassen.
„Mein Plädoyer geht in die Richtung, ein bisschen genauer darüber nachzudenken, wo wir ökonomische Expertise nehmen und wo es politische Fragen sind.“
Sie sprach sich für eine bessere Unterscheidung zwischen Expertenfragen und solchen, die eine politische Aushandlung im demokratischen Prozess erfordern, aus. In diesem Fall sollte z.B. die grundsätzliche Entscheidung darüber, ob die Annahme einer niedrigen Frauenerwerbsquote in den Fiskalregeln politisch gewollt sei, offen im politischen Prozess ausdiskutiert werden, statt dies technokratischen Gremien zu überlassen. Bei der Lösung von Expertenfragen, beispielsweise das tatsächliche Arbeitskräftepotential realistisch abzubilden, käme der Ökonomie wiederum eine bedeutende Rolle zu.