KLIMA

Short Cut ReLive: Klimapolitik via Preisschocks? – Aussichten und Alternativen

Beim Short Cut sprachen wir mit Nina Scheer, Nils aus dem Moore, Thomas Fricke und Isabella Wedl über die neue Forum-Studie zu Lehren aus dem Inflation Reduction Act für die europäische Klimapolitik.

VON

GERRIT TER HORST

VERÖFFENTLICHT

29. APRIL 2025

Die neue Bundesregierung will daran festhalten, klimaschädliches Verhalten stark zu verteuern. Dabei droht schon 2027 ein Schock, wenn mit der Erweiterung des Emissionshandels auf Verkehr und Gebäude die Preise für Benzin und Heizen drastisch steigen dürften. Lässt sich so ein Schock wirklich sozial abfedern? Und sind höhere CO2-Preise überhaupt effektiv, um klimaschonendes Verhalten zu fördern? Wäre eine Alternative, auf positive Anreize zu setzen, wie es die frühere US-Regierung mit dem Inflation Reduction Act getan hat?

Aus Anlass der Publikation unserer Forum-Studie zu den Lehren aus dem IRA „A positive approach to climate policy: What are preliminary lessons learnt from the US Inflation Reduction Act?“ diskutierten wir über all das bei unserem New Economy Short Cut: Klimapolitik via Preisschocks? – Aussichten und Alternative mit Isabella Wedl und Thomas Fricke, Forum New Economy, Nils aus dem Moore, Hertie School of Governance und Christ & Company und Nina Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion am 30. April 2025.

Um eine fundierte Diskussionsgrundlage zu schaffen, stellte Isabella Wedl zu Beginn des Short Cuts zentrale Ergebnisse des Papiers vor. Die Studie vergleicht zwei politische Ansätze zur Klimapolitik: einerseits die CO₂-Bepreisung – in Europa über das Emissionshandelssystem (ETS) organisiert – als „bestrafenden“ Mechanismus, und andererseits einen Ansatz, der auf positive Anreize und staatliche Investitionen setzt. Als Anschauungsbeispiel dient der Inflation Reduction Act (IRA) der US-Regierung unter Präsident Biden.

Wedl erläuterte, welche Nachteile ein CO₂-Bepreisungssystem mit sich bringt: Es fördert Innovationen nur unzureichend, belastet einkommensschwache Haushalte überproportional und stößt auf geringe gesellschaftliche Akzeptanz – insbesondere dann, wenn reale Preiserhöhungen spürbar werden. Demgegenüber zeige ein anreizorientiertes System eine höhere Innovationskraft, stoße strukturelle Veränderungen im Bereich öffentlicher Infrastruktur an und sei insgesamt weniger konfliktbehaftet.

Anhand des IRA illustrierte Wedl konkrete Effekte: Zwischen den Zeiträumen 2020–2022 und 2022–2024 stiegen die durch Steuergutschriften aktivierten privaten Investitionen um 70 %. Das entspricht einem Volumen von fast 500 Milliarden US-Dollar. Modellierungen zufolge könnten die Treibhausgasemissionen der USA durch den IRA um rund 40 % sinken.

Nils aus dem Moore (Hertie School of Governance und Christ & Company), der auf die Studie reagierte, stimmte dem Grundtenor zu – insbesondere der Forderung nach einem klugen Policy-Mix. Kritisch sah er jedoch die starke Gegenüberstellung der beiden Politikansätze. Er wies darauf hin, dass es auch in Europa ein System von Investitionsanreizen gebe: Zähle man alle Programme der EU und ihrer Mitgliedstaaten zusammen, sei deren Finanzvolumen sogar größer als das des IRA. Jedoch würden diese Maßnahmen durch langsame und ineffiziente Prozesse ausgebremst. Nötig seien daher nicht mehr Mittel, sondern bessere Strukturen. Die CO₂-Bepreisung ziehe er als Anreizmechanismus vor – unter anderem, weil sie nicht jährlich neu haushälterisch verhandelt werden müsse und daher stabiler und verlässlicher sei.

Nina Scheer (klima- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion) widersprach dieser Einschätzung: Dass die CO₂-Bepreisung per se stabiler sei, halte sie für fragwürdig. Auch das ETS stehe regelmäßig im Zentrum politischer Auseinandersetzungen; Vorgaben würden verschoben, Regelungen angepasst. Viel problematischer sei, dass Klimaschutz und Emissionshandel mittlerweile als Synonyme wahrgenommen würden – was andere Instrumente wie das EEG in ihrer Wirkung unsichtbar mache. Aus ihrer Sicht braucht es dringend soziale Ausgleichsmaßnahmen zum ETS, um Schockeffekte zu vermeiden. Der Ausbau der Erneuerbaren dürfe auf keinen Fall gebremst werden – im Gegenteil: Es gelte, parallel den systemischen Umbau voranzutreiben, etwa durch den Ausbau von Speicherkapazitäten und die Umstellung der Einspeisesysteme.

Thomas Fricke betonte, dass aus der Innovationsforschung bekannt sei: Anfangsinvestitionen in neue Technologien müssen sehr hoch sein, um Marktreife zu erlangen – ein Aspekt, den reine CO₂-Bepreisung nicht leisten könne. Stattdessen müssten gezielt Sektoren identifiziert werden, die in ein solches System überführt werden können.

Nils aus dem Moore ergänzte das Beispiel Kanada, wo die Regierung zuletzt die Carbon Tax teilweise ausgesetzt habe – ein Hinweis auf die gesellschaftliche Umkämpftheit solcher Instrumente, selbst wenn bereits sektorale Emissionsreduktionen sichtbar würden.

Nina Scheer schloss mit dem Hinweis, dass ein Emissionshandelssystem, das nur auf dem Papier funktioniere, nicht ausreiche. Es müsse auch dann tragfähig sein, wenn es an kritische Punkte stoße. Dennoch sprach sie sich klar für den Fortbestand des ETS aus – ein Ende des Emissionshandels hätte schwere Folgen für den Kampf gegen den Klimawandel. Sie beendete ihren Beitrag mit einer optimistischen Note: Menschen seien wesentlich wandlungsfähiger, als ihnen oft unterstellt werde. Schließlich veränderten sie sich und ihre Umwelt ständig – meist ohne größere Verwerfungen.

Die Diskussion zum Nachschauen hier:

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KNOWLEDGE BASE

Zu Hochzeiten des Glaubens an die Märkte galt als bestes Mittel gegen die Klimakrise, an den Märkten einen CO2-Preis aushandeln zu lassen. Heute ist zunehmend Konsens, dass das nur bedingt funktioniert - und es weit mehr braucht, als nur einen Preis.

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