KLIMA
Koalitionsvertrag 2021-2025: Zusätzliche finanzielle Spielräume für Zukunftsinvestitionen?
Der Koalitionsvertrag liegt vor. Ermöglichen die dort aufgeführten finanzpolitischen Instrumente ausreichend Spielraum für die nötigen Klima- und anderen Zukunftsinvestitionen? Tom Krebs und Janek Steitz mit einer Einschätzung.
VON
FORUM NEW ECONOMYVERÖFFENTLICHT
26. NOVEMBER 2021LESEDAUER
6 MIN.Text und Auswertung von Tom Krebs (Universität Mannheim, Forum New Economy) und Janek Steitz (Agora Energiewende)
Der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien enthält im Wesentlichen drei finanzpolitischen Instrumente zur öffentlichen Finanzierung von Klima- und anderen Zukunftsinvestitionen. Zum Ersten die Finanzierung öffentlicher Investitionen durch die Stärkung der Eigenkapitalbasis öffentlicher Unternehmen und die Kreditfinanzierung von Investitionen durch diese Unternehmen. Zum Zweiten die Förderung privater Zukunftsinvestitionen über einen Ausbau existierender KfW-Programme und dem Abbau klimaschädlicher Subventionen. Zum Dritten die Nutzung der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse in 2021 und 2022, um mittels der Bildung von Rücklagen die krisenbedingten Mehrausgaben in den kommenden Jahren zu finanzieren. Darüber hinaus fordert der Koalitionsvertrag eine Anpassung bzw. Weiterentwicklung des Konjunkturbereinigungsverfahrens auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Damit habe die Ampel-Parteien die wesentlichen Vorschläge von Krebs, Graichen und Steitz (2021) aufgegriffen und so die finanzpolitische Voraussetzung für ein Modernisierungsjahrzehnt geschaffen.
Grobschätzung zusätzlicher Spielraum durch Maßnahmen des KoaV 2022-2025
Fiskalpolitische Maßnahme KoaV |
Zusätzlicher Spielraum 2022-2025 |
Anmerkung | |
a. | Weiterentwicklung der KfW zur Innovations- und Investitionsagentur | n/a | Die Ausweitung des Zukunftsfonds sowie bewährter Förderinstrumente der KfW (z.B. zinsgünstige Kredite mit Zuschuss) kann wesentlich dazu beitragen private Investitionen zu hebeln. Eine Stärkung der EK-Basis der KfW ist schuldenbremsenneutral. |
b. | Stärkung öffentlicher Unternehmen (z.B. DB oder BlmA) durch finanzielle Transaktionen | Rund 25 Mrd. EUR | Über finanzielle Transaktionen des Bundes und der Länder (z.B. EK-Stärkung) sowie Kreditaufnahme öffentlicher Unternehmen kann ein Teil der im Zeitraum 2022-2025 anfallenden Investitionsbedarfe im Klimabereich gedeckt werden. Werden 1/4 der in Krebs und Steitz (2021) identifizierten Bedarfe (Bund und Kommunen) auf diese Weise finanziert, ergibt sich für 2022-2025 ein zusätzlicher Spielraum von etwa 25 Mrd. EUR. |
c. | Gesamttilgungsplan und Anpassung Tilgungsfristen gemäß NGEU | Rund 6 Mrd. EUR | Setzen die Corona-Tilgungsverpflichtungen aus dem Jahr 2020 nicht wie bisher geplant ab 2023 ein, sondern starten im Zuge der Zusammenlegung erst ab 2026 (oder später), kann dies zusätzlichen Spielraum von etwa 6 Mrd. EUR schaffen. |
d. | Anpassung der buchhalterischen Berücksichtigung von Sondervermögen innerhalb der Schuldenregel | n/a | Schafft keinen Spielraum an sich, aber ist Voraussetzung dafür, dass im Rahmen der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse eine Rücklage im neuen Klima- und Transformationsfonds (KTF) gebildet werden kann (siehe d. und e.), die dann im Verlauf der Legislaturperiode schuldenbremsenneutral verbraucht werden kann. |
e. | Zweckgebundene Befüllung des neuen KTF mit ungenutzten Kreditermächtigungen aus dem Jahr 2021 | Bis zu 65 Mrd. EUR | Der SVR rechnet im Jahresgutachten 2021/2022 mit einem Haushaltsdefizit von knapp 175 Mrd. EUR. Gemäß Nachtragshaushalt 2021 beträgt die Ermächtigung zur NKA 240 Mrd. EUR für 2021. Die ungenutzte Kreditermächtigung soll gemäß KoaV in den KTF überführt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein Veranlassungszusammenhang zur Corona-Pandemie bestehen muss (siehe Anmerkungen unten). |
f. | Prüfung der Aufstockung des KTF im Rahmen der Notlagenregelung 2022 | n/a | Solange Zusammenhang zur Corona-Pandemie hergestellt werden kann, dürfte weitere Aufstockung möglich sein. |
g. | Evaluation und ggf. Anpassung des Konjunkturbereinigungs-verfahrens | Rund 30 Mrd. EUR (wenn Neuregelung ab 2023 greift) | Siehe Krebs/Steitz/Graichen (2021); unter der Voraussetzung, dass sich Bundesregierung zur dauerhaft wachstumsfreundlichen Wirtschaftspolitik bekennt und strukturelle Maßnahmen (zB Investitionen Infrastrukturen oder Anhebung Mindestlohn) ergreift. |
h. | Umsetzung geeigneter Projekte im Rahmen von ÖPP | n/a | Schwer abzuschätzen; ggf. im Bereich Wasserstoffinfrastruktur. |
i. | Abbau überflüssiger, unwirksamer und umwelt- und klimaschädlicher Subventionen und Ausgaben | Bis zu 30 Mrd. EUR | Unklar wie ambitioniert der Abbau klimaschädlicher Investitionen angegangen wird; explizit angesprochen ist nur die Abschaffung des Diesel-Privilegs. Potenzial des Abbaus „überflüssiger“ Ausgaben ungewiss. Vorsichtige Schätzung insgesamt: 30 Mrd. EUR. |
j. | Einmaliger Beitrag zur Entlastung kommunaler Altschulden | Bis zu 20 Mrd. Euro | Finanzierungsinstrument unklar; mögliche wäre eine einmalige Zuweisung an einen Altschuldenfonds in 2022. |
GESAMT | Bis zu 176 Mrd. EUR + X | Rund 45 Mrd. / Jahr; inkl. bereits bereitgestellter Mittel sollten innerhalb der LP20 die notwendigen Investitionen auf den Weg gebracht werden können – jedoch unter Vorbehalt, dass eine Rücklagenbildung (e. und f.) rechtlich umsetzbar ist. |
Anmerkungen
Öffentliche Investitionen des Bundes
Finanzierung der notwendigen Bundesinvestitionen ist durch die von uns vorgeschlagenen und im Koalitionsvertrag erwähnten Instrumente (Stärkung der Eigenkapitalbasis der öffentlichen Unternehmen und Kreditfähigkeit der öffentlichen Unternehmen) gesichert. In diesem Bereich werden strukturelle Maßnahmen besonders wichtig für eine erfolgreiche Umsetzung sein: Fokus auf das Kerngeschäft (Angebot öffentlicher Infrastruktur und öffentlicher Dienstleistungen im Inland), effektive Organisation des Managements und direkte Kontrolle durch den Eigentümer (die öffentliche Hand).
Zudem sollte beachtet werden, dass die Bundesagentur für Arbeit zusätzliche Finanzmittel und eine gewisse finanzielle Reserve benötigt, um die im Koalitionsvertrag erwähnten zusätzlichen Aufgaben angemessen zu erfüllen (Investitionen in die Menschen). Das bedeutet unter anderem, dass – wie in unserer Studie vorgeschlagen — der Bund durch eine einmalige Zuweisung die in der Corona-Krise erlittenen Verluste (krisenbedingte Zusatzausgaben) der BA von fast 30 Milliarden Euro teilweise ausgleichen sollte. Wichtig: Dazu ist keine Rücklagenbildung notwendig – dies ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich.
Förderung privater Investitionen
Der EKFs soll zu einem Klima- und Transformationsfonds umgebaut werden. Es ist ökonomisch sinnvoll, zur Finanzierung des Fonds die in 2021 nicht genutzten Rücklagen und eventuell zusätzliche Rücklagen aus 2022 zu nutzen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es wichtig, einen unmittelbaren bzw. finalen Veranlassungszusammenhang zwischen Corona-Krise und den mit den Rücklagen finanzierten Ausgaben herzustellen – siehe das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes „Notlagenverschuldung des Bundes und der Länder“ vom 22.11.2021. Ein solcher Zusammenhang ist jedoch für die Finanzierung des Abbaus der EEG-Umlage und eines Teils der künftigen Klimainvestitionen gegeben, wie wir in unserer Studie argumentieren.
Der Abbau klimaschädlicher Subventionen sollte unabhängig von der Finanzierungsfrage erfolgen. Denn die Förderung klimafreundlicher Investitionen entfaltet eine besonders große Lenkungswirkung, wenn gleichzeitig klimaschädliche Subventionen abgebaut werden.
Wichtig zu beachten ist, dass die EEG-Umlage ab dem 01.01.2023 über den KTF durch Haushaltsmittel (Einnahmen BEHG und ETS und ggf. weitere Bundesmittel) finanziert werden soll. Insgesamt ist das ein Bedarf von rund 60 Mrd. EUR. Ebenso muss berücksichtigt werden, dass die Einführung von „Superabschreibungen“ zu Steuermindereinnahmen im Zeitraum 2022-2025 führen werden.
Anpassung des Konjunkturbereinigungsverfahren
Der Koalitionsvertrag erwähnt die Weiterentwicklung der Schätzung der Konjunkturkomponente bzw. des Produktionspotenzials auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die aktuelle Schätzmethode hat besonders nach Krisen oder Strukturreform Schwächen. Unsere Studie entwickelt Ideen zur Weiterentwicklung der Schätzmethode auf Basis der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur. Bei der Umsetzung dieser und anderer Vorschläge sollte beachtet werden, dass die methodischen Weiterentwicklungen in den europäischen Prozess eingebunden werden (wie auch im Bundesgesetz zu Art 115 GG gefordert).