KLIMA
Ist der grüne Kapitalismus ein Mythos?
In einem kürzlich erschienenen Buch argumentiert Adrienne Buller, dass marktbasierte Lösungen nicht in der Lage sind, angemessene Antworten auf die Klimakrise zu liefern.
VON
SONJA HENNENVERÖFFENTLICHT
11. AUGUST 2022LESEDAUER
4 MINTausende von Seiten wissenschaftlicher Studien beleuchten die Dringlichkeit und Bedrohlichkeit der Klimakrise und skizzieren Lösungsansätze zu ihrer Bewältigung, während der öffentliche Ruf nach Maßnahmen quer durch das politische Spektrum, unter Wissenschaftler*innen, Klimaaktivist*innen und politischen Entscheidungsträger*innen lauter denn je ist. Dennoch wird die Natur in einem noch nie dagewesenen Ausmaß zerstört, und das Zeitfenster, die globale Erwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen, wird immer schmaler.
Ein neues Buch begibt sich auf die Suche nach einer Antwort auf dieses scheinbare Paradoxon. In „The Value of a Whale – On the illusions of green capitalism“ (Der Wert eines Wals – Über die Illusionen des grünen Kapitalismus) argumentiert die Forschungsdirektorin von Common Wealth, Adrienne Buller, dass die derzeitigen marktbasierten Antworten auf die Klimakrise – von CO2-Preisen über grünes Wachstum bis hin zur Kommerzialisierung der Natur – fatalen Verzerrungen unterliegen, die uns daran hindern, wirklich sinnvolle Lösungen für die drängenden Probleme zu finden. Buller zufolge führen viele der vom „grünen Kapitalismus“ vorgeschlagenen Lösungen zu einer „Fehlanpassung“ an die Krise. Auch wenn sie darauf abzielen, sich an den Klimawandel anzupassen oder ihn sogar abzumildern, besteht die Gefahr, dass sie gleichzeitig negative Folgen, weitere Risiken, Belastungen und Ungleichheiten schaffen. Als prominentes Beispiel hierfür nennt sie den Kohlenstoffausgleich, bei dem Ausgleichsflächen auf der ganzen Welt buchstäblich in Flammen aufgehen.
Die Abkehr von marktorientierten Lösungen sei jedoch eine Herausforderung, da unsere Gesellschaft auf kapitalistischen Verhältnissen beruhe und Asset Manager Firmen und andere Großunternehmen inzwischen die Macht von Regierungen und internationalen Institutionen übertrumpfen. Doch was sollte eine Lösung, die über marktwirtschaftliche Vorschläge hinausgeht und erstrebenswert ist, beinhalten? Laut Buller muss jede angemessene Lösung sowohl materielle Auswirkungen haben (z. B. zu einer Verringerung der in die Atmosphäre abgegebenen Emissionen führen) als auch zu einer Umverteilung von Reichtum, Macht und Konsum in der Weltwirtschaft beitragen, insbesondere da der Wohlstandskonsum eine der Hauptursachen für das hohe Maß der Umweltzerstörung ist.
"Der technologische Fortschritt hat zwar bis heute zu einer gewissen Verringerung des Materialdurchsatzes und der Verschwendung geführt, aber diese Gewinne wurden durch den steigenden Konsum völlig zunichte gemacht", der oft "billige und unsichtbare Flächen, Ressourcen und Arbeitskräfte beansprucht. [...] In diesem Sinne beruht die 'Freiheit', die der Konsum und die Wahlmöglichkeiten auf den Märkten mit sich bringen, letztlich auf der tiefgreifenden Unfreiheit zahlloser Anderer, die einfach nicht gesehen werden".
Als Beispiel für die begrenzte Wirksamkeit marktbasierter Lösungen nennt Buller das EU-Emissionshandelssystem (ETS), das wegen seines eingeschränkten Geltungsbereichs und schwankenden Preisniveaus häufig kritisiert wird und bisher kaum zu einer allgemeinen Verringerung der Emissionen in der Region beigetragen hat. Darüber hinaus werde die Rolle der Staaten zu oft auf die Verringerung von Risiken und die Sicherung von Gewinnen des Privatsektors reduziert, anstatt direkt in Lösungen zur Krisenbekämpfung zu investieren, schreibt Buller. Andere renommierte Ökonominnen wie Mariana Mazzucato weisen seit langem auf die Bedeutung von „Moonshot“-Projekten hin, die von einem unternehmerisch denkenden Staat vorangetrieben werden.
"Grüne kapitalistische Lösungen versuchen, die komplexen, ethisch und sozial heiklen und inhärent politischen Fragen, die die ökologische Krise aufwirft, von einem demokratisch anfechtbaren Terrain auf die private Autorität der Märkte zu übertragen [...]."
Auf diese Weise würden nicht nur bestehende Ungleichheiten verschärft, sondern die antidemokratische Klimapolitik der „Eliten“ rufe auch in weiten Teilen der Bevölkerung starke Ressentiments hervor, wofür die „gilets jaunes“ in Frankreich ein gutes Beispiel seien. Laut Buller bedeutet all das zusammengenommen, dass grüne kapitalistische Lösungen letztlich selbstzerstörerisch sind und dringend durch neue Politikansätze ersetzt werden sollten.
Wer sich für einen versöhnlicheren Blickwinkel auf die Debatte um grünes Wachstum versus kein Wachstum und Kapitalismus versus Anti-Kapitalismus interessiert, dem empfehlen wir unser bevorstehendes Symposium am 30. August, auf dem unter anderem neue Ansätze jenseits der alten Grundsatzfragen skizziert und bewertet werden soll, welche Maßnahmen als Brücke zwischen den Lagern dienen könnten.