EUROPA

Highlights – Thomas Piketty über die deutsche Ideologie und die Erneuerung Europas

Eine Zusammenfassung des Vortrags von Thomas Piketty beim 7. New Paradigm Workshop und seine Diskussion mit Moritz Schularick und Veronika Grimm.

VON

MARC ADAM

VERÖFFENTLICHT

2. OKTOBER 2020

LESEDAUER

3 MIN

Thomas Piketty, Bestsellerautor und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Pariser Wirtschaftshochschule, hielt am zweiten Tag des Workshops VII New Paradigm eine Grundsatzrede. Anders als man vielleicht erwartet hätte, äußerte sich Piketty sehr optimistisch über die zukünftige Rolle Deutschlands in Europa.

Zwar ist jedes Land anders und es ist schwer, das von außen zu beurteilen, aber Piketty erinnerte die Zuhörer daran, dass Deutschland im Laufe seiner Geschichte sehr innovativ und fortschrittlich war, während Frankreich in vielen wirtschaftlichen Fragen viel konservativer war. Als Beispiel nannte Piketty die von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführte Vermögenssteuer. Dies war eine beeindruckende neue Lösung, um der massiven Staatsverschuldung zu begegnen, und Piketty führt die Ursprünge dieser Innovation auf das Verständnis von Eigentumsrechten im deutschen Grundgesetz von 1949 zurück. In Anbetracht der Tatsache, dass viele fortschrittliche Dinge aus Deutschland kamen, ist die Vorstellung, dass deutsche Ökonomen immer konservativer sind, einfach nicht wahr und hat ihre Wurzeln in nationalistischen Diskursen.

Piketty kommentierte die aktuelle Situation in Europa mit den Worten, die große Neuerung sei die gemeinsame europäische Staatsverschuldung.

Diese 350 Milliarden machen jedoch nur 0,5 % des EU-BIP pro Jahr aus und sind im historischen Vergleich relativ gering. Er argumentierte, dass das Einstimmigkeitsprinzip kontraproduktiv sei und man manchmal mit einer kleineren Gruppe von Ländern vorwärts gehen sollte und nach einigen Jahren die übrigen Länder beitreten werden, wenn sie sehen, dass es von Vorteil ist.

Veronika Grimm kommentierte die Grundsatzrede mit den Worten, dass es die tiefe europäische Integration sei, die zu einer starken Zusammenarbeit während der jüngsten Krise geführt habe. Das Mitglied des deutschen Sachverständigenrates sieht drei Gründe, warum sie optimistisch ist, dass die europäische Zusammenarbeit noch weiter ausgebaut werden kann: 1. Die Bedrohung durch den Klimawandel und die globale Erwärmung, 2. der Rückzug der USA bei der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter und 3. Die Frage der Migration

In dem entscheidenden Punkt, dass eine Koalition der Willigen ein Weg für die weitere europäische Integration sein könnte, war Prof. Grimm auf einer Linie mit Thomas Piketty.

INET-Mitarbeiter Moritz Schularick mischte sich provokativ in die Diskussion ein und behauptete, dass die alte Unterscheidung zwischen Ermessen und Regeln ein wenig obsolet geworden sei und die aktuelle Krise viele Türen für die europäische Integration geöffnet habe. Deutschland, so der Bonner Wirtschaftsprofessor, sei offen für ein föderales Europa, aber der Heiratsantrag müsse von Frankreich kommen.

Piketty entgegnet auf Moritz‘ Heiratsvorschlag, dass, wenn Deutschland und Frankreich in Richtung einer stärkeren europäischen Integration gehen, zum Beispiel auf der Ebene der Körperschaftssteuer, wir Europa spalten könnten, weil einige der kleineren Länder nicht mitmachen würden. Darauf sollte man vorbereitet sein.

Insgesamt waren sich die drei Ökonomen einig, dass es eine große Chance für die europäische Integration gibt, dass wir aber die Institutionen richtig gestalten müssen.

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Das Europa der vergangenen Jahrzehnte wurde stark vom Primat der Wirtschaft und dem Vertrauen in die Heilungskraft der Märkte geprägt. Die Euro-Krise hat dies erschüttert. Seither wird gestritten, wie die Währungsunion vor neuen Paniken besser geschützt werden kann – und wie sich das Auseinanderdriften von Ländern besser verhindern lässt.

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